„Die Neugestaltung der Innenstadt Dresden“
Pläne des Dresdner Stadtplanungs- und Hochbauamtes von 1937 bis 1940

Thomas Kantschew  - Mai 2025
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"Großstadtgesundung"
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Plan 1940 (Fünfte Stufe)



1939 - Mutschmann-Plan – vierte Stufe

Dresden wird offiziell „Neugestaltungsstadt“



Mit dem „Führererlass“ vom 17.Februar 1939 erhielt Dresden neben Augsburg, Bayreuth, Breslau, Graz und Würzburg den langangestrebten Status einer „Neugestaltungsstadt“.
Alle 25 „Neugestaltungsstädte“, die teilweise erst 1940 hinzukamen, sind unter diesem Link aufgelistet: https://de.wikipedia.org

Nur drei Wochen später erfolgte am 09. März 1939 der erste Spatenstich am Gauhaus, den der sächsische Gauleiter Mutschmann mit großem Pomp in Szene setzte. Der Pulsnitzer Anzeiger schrieb am 10.03.1939: "In Dresden beginnt mit dem Spatenstich zum Gauhaus die Neugestaltung der Stadt.

Konkretisiert wurde das weitere Vorgehen in der „Verordnung über die Neugestaltung der Stadt Dresden vom 14. Juli 1939" , eine Verordnung des „Reichsarbeitsministers zur Neugestaltung Dresdens auf der Grundlage des 'Gesetzes zur Neugestaltung deutscher Städte' 1937“.

Hitler ordnete die „Durchführung“ der von ihm bestimmten besonderen städtebaulichen Maßnahmen an. Die Rede ist jetzt von einem anzustrebenden „neuen Generalbebauungsplan“.
Gauleiter und Reichsstatthalter Mutschmann bekam von Hitler den Auftrag, eine „Durchführungsstelle“ einzurichten. Mutschmann übertrug diese Aufgabe dem Architekten Martin Hammitzsch, Schwager Hitlers und Leiter der Dresdner Bauschule just am 1. September 1939, dem Tag, als mit dem Überfall auf Polen durch die deutsche Wehrmacht der II. Weltkrieg begann.

Martin Hammitzsch und dessen Durchführungsstelle sollte im Zug der Planung zur Neugestaltungsstadt Dresden koordinierend wirksam werden. Dieser Dienststelle waren alle mit den städtebaulichen Maßnahmen für Dresden im Zusammenhang stehende Vorgänge und Planungen ab einer bestimmten Größe zu unterbreiten.
Eva Benz-Rabalah beschrieb 1990 in ihrer Dissertation zu Paul Wolf eine starke Konkurrenz zwischen Wolf und Hammitzsch, „weil er die Neugestaltung Dresdens übernehmen wollte“. (92)
Stadtbaurat Paul Wolf hatte jedoch auch nach dem 01. September 1939, entgegen vorheriger Annahmen, durchaus Einfluss auf die Weiterentwicklung der Dresdner Neugestaltungspläne.
In einem Schreiben vom 15.Juni 1945 heißt es nach Kriegsende von Regierungs-Baurat Fritz Arnold als Mitarbeiter in der Dresdner Durchführungsstelle in einem abwiegelnden Ton:

"Auf Grund der Verordnung über die Neugestaltung der Stadt Dresden vom 14.Juli 1939 wurde ab 1.Sept. 1939 die Durchführungsstelle für die Neugestaltung der Stadt Dresden errichtet. Es wurde von vorherein festgelegt, daß sich die 'Durchführungsstelle' bei der Erfüllung ihrer Aufgaben weitestgehend der in Frage kommenden städtischen und staatlichen Dienststellen zu bedienen habe, um Doppelarbeit und die Bildung einer neuen großen Dienststelle, wie das bei den Neugestaltungsmaßnahmen in anderen Städten zu beobachten war, zu vermeiden. Es war auch vorgesehen, für bestimmte Bauaufgaben zur gegebenen Zeit freischaffende Architekten heranzuziehen. Die Tätigkeit der "Durchführungsstelle" sollte sich nur auf die Lenkung und Leitung der nach dem Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte und der erwähnten Verordnung vom 14.7.1939 zu erfüllenden besonderen Aufgaben erstrecken.
Diese Aufgaben wurden von Prof. Dr. Hammitzsch und von mir nebenamtlich erledigt."
(93)


Tatsächlich hatten 1941 Beamte in der Reichskanzlei Berlin das Planungswirrwarr in vielen deutschen Städten und sich überschneidende Kompetenzen kritisiert und angemahnt:
„Die Gauleiter müßten angewiesen werden, die Planungsarbeiten den vorhandenen staatlichen und gemeindlichen Verwaltungseinrichtungen zu übertragen.“ (94)
Auf die Kompetenz der Fachbehörden sollte auf keinen Fall verzichtet werden. Für Dresden hieß das: Mutschmann als Gauleiter mit besonderer Machtfülle hatte in der sächsischen Hierarchie oberste Gewalt, die städtischen Planungsbehörden waren untergeordnet. Die Durchführungsstellte organisierte die Planung der konkreten Umsetzung.


Plan Neugestaltung der Innenstadt Dresden mit vier Schwerpunkten 1939
Plan Neugestaltung der Innenstadt Dresden mit vier Schwerpunkten. Aus:
Mutschmann, Martin: Die städtebauliche Neugestaltung Dresdens, In: Deutscher Baumeister, Sept. 1939 (Heft 9). Mutschmann verwendete 1939 den Paul-Wolf-Plan „Neugestaltung der Innenstadt Dresden“ von November 1938. Vergrößerung



  92) Eva Benz-Rabalah: Leben und Werk des Städtebauers Paul Wolf (1879-1957) unter besonderer Berücksichtigung seiner 1914-22 entstandenen Siedlungsentwürfe für Hannover, Hannover 1990, S.108

93 )  Dokument vom 15.Juni 1945, Betr. Durchführungsstelle für die Neugestaltung der Stadt Dresden. Von Fritz Arnold (Reg. Baurat) an den Herrn Oberbürgermeister - Bauverwaltung zu Dresden, In: Akte Dezernat Aufbau 25  "Durchführungsstelle" seit 1939, übergeben der neuen Stadtverwaltung im Juni 1945 (Stadtarchiv Dresden)

94)  Vermerk zur Besprechung in der Reichskanzlei am 16.09.1941, In: Christiane Wolf, Gauforen, S.273



Vier Schwerpunkte der „vorläufig in Betracht kommenden Gebiete“



Martin Mutschmann grenzte 1939 „die für die besonderen städtebaulichen Maßnahmen in Dresden vorläufig in Betracht kommenden Gebiete näher ein.“ (95)
Offenbar war klar geworden, dass nicht alle Abbrüche und Neugestaltungen gleichzeitig erfolgen konnten. Die vier Schwerpunkte waren in der Reihenfolge „ihrer Dringlichkeit“:

Rathausplatz mit Gauforum
Wiener Platz
Postplatz mit neuem Museumsviertel
Carolaplatz auf Neustädter Seite.

Dieses „Eingrenzungsgebiet Innere Neustadt“ wurde angegeben mit: "Carolaplatz - Carolabrücke - rechtes Elbufer bis zur Marienbrücke - Antonstraße - Kaiserstraße - Kaiser-Wilhelmplatz (heute Palaisplatz), Königstraße - Obergraben - Niedergraben - Beaumontplatz - Briestraße – Carolaplatz.
Das heißt also, wie es weiter unten im Text stand, auch "die Umgestaltung des rechten Elbufers auf der Neustädter Seite zwischen Japanischen Palais und Ministerialgebäuden" sollte in Angriff genommen werden, hatte aber nicht die höchste Prioritätsstufe. Dazu zählten u.a. die offenen Baufelder seit der Anlage des Carolaplatzes, die mit 5-stöckigen Verwaltungsbauten nahe den beiden Ministeriumsbauten vervollständigt werden sollten.

Der Mutschmann-Plan, basierend auf den Planungen von Paul Wolf (Stadtplanungs- und Hochbauamt Dresden, einschließlich Mitarbeiter), wurde für die Innere Neustadt 1939 nach Beginn des Weltkrieges nicht weiter spezifiziert, auch im Neugestaltungsplan Innenstadt 1940 nicht, obwohl in den Jahren zuvor über Verkehrsveränderungen und Altstadtsanierung in der Neustadt immer wieder gesprochen worden war. Seit dem Bau der neuen, breiteren Augustusbrücke 1910 von Wilhelm Kreis wurde eine Verbesserung des angespannten Verkehrs in diesem dicht bebauten historischen Viertel angestrebt: Hochstraßenprojekte von Fischer (München) 1909 mit Straßendurchbrüchen: https://mediatum.ub.tum.de, Erlwein 1910, Ernst Kühn 1910/ 1934). Durch die Gartenanlage des Königsufers 1936 war die Hochuferstraße zwar weg vom Tisch, dennoch blieb die unbefriedigende Verkehrslage.
Neben der schwierigen Verkehrssituation war die marode Bausubstanz in den ältesten Teilen der Inneren Neustadt problematisch. Über eine Sitzung des Dresdner Stadtrates zum Thema "Altstadtsanierung“ berichteten die Dresdner Neueste Nachrichten am 08.12.1935:

„Nun sollen Große und Kleine Frohngasse als nächste Etappe drankommen. Später steht die Fischhofgasse, noch später die Große Meißner Straße, schließlich auch das Hecht- und Alaunstraßenviertel auf dem Programm. (…) Die Zusammensetzung zeigt, daß nicht nur der Kern der Altstadt, sondern auch der Neustadt, sogar Viertel aus der 'Gründerzeit' reif sind, aus sozialen Gründen so schnell als möglich der Spitzhacke überantwortet zu werden."

Den modifizierten Plänen für eine Umgestaltung der Inneren Neustadt 1939 hätte jedoch die Verordnung über die Baugestaltung, vom 10. November 1936 (Reichsgesetzblatt I S. 938) entgegengestanden. Dort stand im § 1 [Bauliche Anlagen]

„Auf die Eigenart oder die beabsichtigte Gestaltung des Orts-, Straßen- oder Landschaftsbildes, auf Denkmale und bemerkenswerte Naturgebilde ist Rücksicht zu nehmen.“

Künftige Konflikte zwischen Verkehrsplanern und Denkmalbewahrern wären vorprogrammiert gewesen.



Von den 1937 anvisierten Altstadt-Sanierungen allerdings war im September 1939 im Erläuterungstext von Gauleiter Mutschmann kaum eine Rede mehr. Zwar wurde der Abbruch „manch unhygienischer Mietskaserne“ und eine „Umsiedlung in gesunde und einwandfreie Wohnverhältnisse“ kurz erwähnt, aber diese standen textlich nur in Zusammenhang mit der Neuanlage der großen breiten Achsen. Die Sanierung der herunter gekommenen Altstadtquartiere in der Wilsdruffer Vorstadt, u.a. um die Mittelstraße nahe der Schweriner Straße, lag außerhalb der vier priorisierten Gebiete städtebaulicher Maßnahmen. Die 1938 von Paul Wolf als Ersatz entworfene quadratische Altstadtfiguration entbehrte zudem jetzt der fett markierten Achsenkanten der im Vordergrund stehenden Maßnahmen – mit anderen Worten: die Not der Lebensbedingungen ärmerer Bevölkerungsschichten in den Sanierungsgebieten war nun 1939 nachrangig geworden. Im Vordergrund stand nach wie vor als Erstes: Gauforum + Aufmarschachse und danach die Verbesserung der Verkehrsverbindung vom Rathausplatz zum Hauptbahnhof.

Mutschmann großspurig vorgetragener Neugestaltungsplan mit den neuen vier Schwerpunkten im September 1939 und die konstatierte „rastlos fortschreitende Motorisierung“ stand im krassen Gegensatz zu den Realitäten kurz vor dem Ausbruch des Krieges. Die angestrebte neue Nord-Süd-Achse, an der Kern-Altstadt vorbei bis zum Albertplatz führend, reichte im August 1939 nur für einen geplanten Minidurchbruch. Eine Zeitungsmeldung der DNN vom 25.08.1939 ist diesbezüglich aufschlussreich (96):


Wenig Worte - große Entschlüsse

Die Ratsherren beraten den Durchbruch der Christianstraße und die Abschaffung des Verkehrskreuzes an der Albertbrücke

Am Donnerstagabend hielt Bürgermeister Dr. Kluge eine öffentliche Beratung mit den Ratsherren ab. Die Sitzung war nur von kurzer Dauer, aber sie brachte die Beratung einschneidender Probleme auf dem Gebiet der Verkehrsverbesserung in der inneren Stadt, die wirklich dringend sind. (...)
Bei der Beratung des Bebauungsplanes für den Durchbruch der Christianstraße zwischen Ferdinandstraße und Georgplatz wurde von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen, daß wegen der Kostenfrage und des augenblicklichen Mangels an Baustoffen die Inangriffnahme dieses Baues noch geraume Zeit dauern wird. Es wurde aber allgemein begrüßt, daß mit der Aufstellung der Baupläne nun begonnen wurde. (…)

Stadtbaurat Dr.-Ing. Wolf wies darauf hin, daß sich im Rahmen des auf weite Sicht ausgestellten Planes für die Neugestaltung von Dresden auch eine Verbreiterung der Christianstraße und deren Durchbruch bis zum Georgplatz vorgesehen ist. Auf diese Weise wird ein durchgehender Verkehrszug vom Hauptbahnhof durch die zu verbreiternde Christianstraße über den Rathausplatz und darüber hinaus über Carolabrücke—König-Albert-Straße zum Albertplatz geschaffen, der eine bedeutsame Nord-Süd-Entlastung der Innenstadt darstellt.

Im Rahmen der zunächst vorgesehenen städtebaulichen Maßnahmen, d. h. innerhalb des von Reichsstatthalter Mutschmann durch VO. vom 18. April 1939 festgestellten Bereiches ist jedoch nur ein Durchbruch vom Georgplatz über die Bankstraße hinweg zur Christianstraße in Aussicht genommen, für den ein Bebauungsplan aufgestellt wurde. Dieser Plan sieht zunächst nur einen Durchbruch in einer Breite von 17 Meter vor mit sinngemäßer Verbreiterung an der Einmündung in den Georgplatz.
Die Aufstellung des Planes erfolgte unter weitestgehender Schonung von vorhandenen Grundstücken, so daß zunächst mit einem Mindestmaß an Kosten und Inanspruchnahme von Baugelände ein größtmöglichstes Maß an verkehrstechnischen Verbesserungen geschaffen wird. Die beteiligten Stellen haben dem Plan zugestimmt.


Diese Meldung von einer Ratsherrensitzung kurz vor dem Beginn des II. Weltkrieges in einer Hochphase der nationalsozialistischen Hochrüstung und Kriegsvorbereitung zeigt, wie schnell die Verantwortlichen des NSDAP-dominierten Ratsherrenkollegiums von den völlig utopischen, unfinanzierbaren Umbaumaßnahmen Abstand nehmen (mussten).


  95)  Martin Mutschmann: Die städtebauliche Neugestaltung Dresdens, In: Deutscher Baumeister, Sept. 1939 (Heft 9)

96)  Dresdner Neueste Nachrichten: 25.08.1939 (25 ehem. Stadtverordnete fungierten nun als "Ratsherren", waren jedoch nicht beschlussfassend.)



Neues Geschäftsviertel

In Mutschmanns Erläuterungen zur geplanten „Neugestaltung der Innenstadt Dresden“ 1939 fällt noch ein weiterer Punkt auf: „teilweise Verlagerung des Geschäftsviertels".
Schon vor dem I. Weltkrieg, aber vor allem in der Weimarer Zeit entstanden in der Dresdner Altstadt und der Prager Straße zahlreiche größere Geschäftshäuser, mehrstöckige Warenhäuser und blockgreifende Kaufhäuser, teilweise unter Abriss bzw. Überformung wertvoller historischer Bebauung. (z.B, Kaufhaus Herzfeld, Renner, Alrsberg [„arisiert“ 1933], Kaiser-Stoff-Etagen, DeFaKa). Dresden war für die Elbtal-Region mit ca. einer Million Einwohnern am Beginn der 1930er Jahre ein Einkaufsmagnet geworden. Der fehlende Platz für weitere größere Kaufhäuser war in der eng bebauten Altstadt nicht mehr gegeben, einschließlich der viel zu engen Prager Straße.


Warenhaus Tietz Dresden - Entwurf geplanter Neubau 1929 von Prof. Max Hans Kühne
Warenhaus Tietz Dresden - Entwurf geplanter Neubau 1929 von Prof. Max Hans Kühne (Lossow & Kühne) mit einer turmartigen Lichtarchitektur – unrealisiert, Grundstück Nähe Postplatz im Altstadtkern: Wallstraße Ecke Webergasse, Visualisierung in: Sachsens Städtebau 1930, Das Jahrbuch für das gesamte Bauwesen. Vergrößerung
Das Warenhaus Tietz (Dresden) wurde nach 1933 „arisiert“. Vgl. Foto vom Tietz um 1930: https://altesdresden.de


Mit dem allumfassenden Neugestaltungsplan 1938, mehrfach modifiziert, wurde auch ein neues Geschäftsviertel ins Spiel gebracht. Dieses wäre per Automobil besser zu erreichen und mit mehreren Parkplätzen ausgestattet gewesen. Durch die zahlreichen geplanten Durchbruchstraßen und die dadurch bedingten Abbrüche von Gebäudesubstanz aus dem 19. Jahrhundert wäre viel neuer Platz entstanden für voluminöse Großstadtkaufhäuser, Verwaltungs- und Bankgebäude, ohne Altstadtformen und kleinteilige Parzellenstrukturen der Vororte beachten zu müssen. Vermeintlich sollte Rücksicht auf das überlieferte Kulturgut bei der städtischen Neugestaltung Dresdens genommen werden. Defacto hätten umstürzende Neuordnungen das authentische Gesicht der Stadt mit 700-jähriger Geschichte stark verändert, insbesondere in den Stadtvierteln um die Kernaltstadt aus dem 19. Jahrhundert.

Ein Beispiel soll diesen Prozess anschaulich machen. Im inneren Altstadtbereich sorgte 1930 der Abriss des Barockhauses „Hotel zum goldenen Engel“ auf der Wilsdruffer Str. 7 für starken Protest der Landesdenkmalpflege und Gurlitt. Auf dem Grundstück sollte ein Warenhausneubau für die Kaiserstoff-Etagen entstehen. Infos auf: https://www.das-neue-dresden.de/warenhaus.html

In einem Antwortschreiben vom 15.09.1930 wies Baupolizeidirektor Herbert Conert auf den seit 1913 vorhandenen Fluchtlinienplan und der vorgesehenen Verbreiterung der Wilsdruffer Straße hin.

Brief Herbert Conert vom Baupolizeiamt 15.09.1930
Brief Herbert Conert vom Baupolizeiamt
an das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, 15.09.1930
Archiv Landesamt für Denkmalpflege Sachsen,
Akte 401- Straße Wilsdruffer Str.
Foto: T.Kantschew, Vergrößerung


Die angestrebte Schonung von wichtigen Barockbürgerhäusern im innersten Altstadtkern hatte ein Streben nach Dezentralisierung der Geschäftscity in Dresden zur Folge, also einer Teilverlagerung des Einkaufsviertels. Auch dieser Aspekt spielte bei den Neugestaltungsplänen von Paul Wolf, der ebenso Mitglied des sächsischen Landesdenkmalamtes war, eine Rolle, wenn auch eine untergeordnete.



Umwandlungsprozess der Altstadt zur Geschäftsstadt und zur City

Paul Wolf war nicht nur Architekt, sondern durchaus ein erfahrener Fachmann im Bereich Städtebau, sah sich in der Tradition von Camillo Sitte. In dem während seiner Amtszeit in Hannover verfassten Buch „Städtebau“ versuchte Wolf nach der deutschen Revolution 1918/19 Brücken zu bauen zwischen der historisch überlieferten Stadt und den Anforderungen der „Stadtform der Zukunft, die nur im Geiste einer neuen Zeit gelöst werden kann“. Obwohl dieses Buch nun von der Perspektive 1938 zwanzig Jahre zurück lag, kann man doch Rückschlüsse ziehen über Paul Wolfs Grundsätze des Umgangs der modernen Großstadt des 20. Jahrhunderts mit der historischen Stadt. Im Kapitel über die „Geschäftsstadt“ schrieb er bereits 1919 über die Notwendigkeit von Durchbruchstraßen:

Erfordert aber der fortschreitende Verkehr, namentlich in den nach dem Stadtinnern führenden Radialstraßen gebieterisch einen Durchbruch und damit die Niederlegung einzelner Stadtviertel, so muß die neue Zeit ohne Sentimentalität über die alte hinwegschreiten und Neues, Besseres an die Stelle des Alten setzen. Diese neuen Straßenzüge müssen aber dann, wie es schon durch Hausmann in Paris geschehen ist und wie es neuerdings auch die Stadt Hamburg in der Mönkebergstraße in durchaus zeitgemäßer Weise gemacht hat, ganz den Bedürfnissen unserer Zeit entsprechen. (…)
Ist das Alte schon einmal durch die rasch pulsierende Entwicklung unserer Zeit überlebt und unbrauchbar geworden, so müssen wir unsere neuen Forderungen ohne Zagen zur Durchführung bringen und klare und gesundheitlich einwandfreie Verhältnisse schaffen.
(97)

Im Buch "Sachsens Städtebau" ergänzte Paul Wolf 1927 seine Zukunftsentwürfe zum Thema "Innere Stadterweiterung" für die sächsischen Großstädte Dresden, Leipzig und Chemnitz:

Das pulsierende Leben der City der Großstadt mit seinen vielgestaltigen Erscheinungen des Großstadtlebens läßt uns in der Zukunft eine ganz neue Art von Stadt erkennen, für welche einen architektonischen Rahmen zu schaffen Aufgabe künftiger baulicher Gestaltung sein wird. In den Geschäftshäusern und Geschäftsstraßen der inneren Stadt wird sich ganz besonders der Rhythmus der Arbeit der Großstadt wiederspiegeln. Banken und Bürohäuser, an wenigen sorgfältig auszuwählenden Punkten der Stadt zu Hochhäusern gesteigert, werden die neuen Dominanten der künftigen Geschäftsstadt darstellen. (98)

Paul Wolfs Überlegungen zur Citybildung und „Innerer Stadterweiterung“, in den 1920er Jahren konzipiert, flossen dann eine Dekade später in die nationalsozialistischen Zukunftsentwürfe der Dresdner Innenstadt mit ein, dann jedoch angetrieben vom Repräsentationsbedürfnis der neuen Machthaber.


  97) Paul Wolf: Städtebau: das Formproblem der Stadt in Vergangenheit und Zukunft, Leipzig 1919, Kapitel VI: Die Raumelemente der neuen Stadt. B. Die Geschäftsstadt, S.145-149, digitalisiert in der SLUB: www.deutsche-digitale-bibliothek.de

98) Paul Wolf, als Vorsitzender der Sächsischen Arbeitsgemeinschaft der Freien Deutschen Akademie des Städtebaues, in: „Zur Einleitung“, Sachsens Städtebau (Teil 1) 1927. Das Jahrbuch für das gesamte Bauwesen Sachsens, Verlag Jess Dresden. S.10


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Einleitung
Pläne 1920er Jahre, 1934, Gauforum 1937

Plan 1937
Erste Stufe
Plan Juli 1938 
Zweite Stufe
Plan Herbst 1938
Dritte Stufe

Umgestaltungspläne an Plätzen.
Einzelprojekte Teil 1
Umgestaltungspläne an Plätzen.
Einzelprojekte Teil 2
Verkehrsaspekte "Großstadtgesundung"
und "Rassenhygiene"
Mutschmannplan 1939
"Neugestaltungsstadt"
Vierte Stufe
Plan 1940
Fünfte Stufe
Finanzierung und kritische Stimmen  1946, Conert-Plan
„Vorentwurf für die Neugestaltung der Innenstadt Dresden“
Fazit Quellen- und Literatur