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Architekten: |
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Ostseite
und einen Teil der Südseite Wilsdruffer Str. mit Arkadendurchgang
Weiße Gasse: Herbert Schneider (in Zusammenarbeit mit
Kurt Röthig, Hans Konrad und Kollektiv)
Westseite: Johannes Rascher (in
Zusammenarbeit mit Gerhard Guder, Gerhard Müller und Kollektiv),
HO-Warenhaus (Wilsdruffer/ Ecke Altmarkt):
Arbeitsgemeinschaft
Alexander Künzer (nach überarbeiteten Wettbewerbsentwurf
von J. Rascher)
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Wettbewerbs-jury: |
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künstlerische
"Berater": Kurt W.
Leucht, Richard Paulick (beide Deutsche Bauakademie Ostberlin)
u.a. Edmund Collein, Hans Bronder, Weidauer
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Skulpturen: |
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u.a. von Otto Rost, Werner Hempel, Rudolf Wittig und Max
Piroch, Ernst
Grämer (DD-Hellerau) |
Bauzeit:
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1953
- 58 |
___
Repräsentation
eines neuen Staates: Deutschland
unter sozialistischen Vorzeichen
"Der 1370 erstmals erwähnte Altmarkt gilt als älteste
regelmäßige Platzanlage Dresdens. Nach seiner völligen
Zerstörung im 2. Weltkrieg wurde er, um ein Vielfaches vergrößert,
wieder aufgebaut, um u.a. als Aufmarschplatz für Maikundgebungen
zu dienen.
Die östliche Seite des Altmarktes, errichtet nach Plänen
H. Schneiders, ist durch eine 7 geschossige Bebauung gekennzeichnet,
die an die traditionelle Dresdner Barockarchitektur anknüpft.
Die Wohnhäuser, in deren unteren Geschossen Läden und gastronomische
Einrichtungen untergebracht sind, verfügen über symmetrisch
gegliederte Sandstein-Putzfassaden mit durchlaufenden Erkern, Satteldächern
mit Dachgauben sowie gesprengte Giebel als Schmuckelemente. Ihre Firsthöhe
beträgt 26 m, wobei das OG geschickt zurückgesetzt ist.
Mit dieser Gestaltung wurde versucht, eine für Dresden charakteristische
Dachausbildung weiterzuentwickeln.
Auf der westlichen, von J. Rascher entworfenen Seite des Altmarktes
findet man ebenfalls 7 geschossige Wohnhauszeilen. Die durchgängigen
Arkadenpassagen mit Geschäften und Restaurants stehen in harmonischem
Einklang mit der östlichen Bebauung. Auch hier kamen Sandstein-Putzfassaden
mit einer symmetrischen Gliederung zur Anwendung, die in barocker
Tradition stehen. Einen Akzent der westlichen Platzfront bildet der
Kopfbau zur Wilsdruffer Straße.
Die Marktbebauung ist typisch für die aufwändige, monumentale,
historisierende und durchaus qualitätsvolle Architektur der ersten
Hälfte der 50er Jahre in der DDR." Architekturführer
Dresden 1997
Besetzung der Mitte: der Zentrale Platz
Die Schaffung eines Demonstrationsplatzes für mindestens 100
000 Menschen für stehende Demonstrationen war entscheidender
gedanklicher Ausgangspunkt für den Wiederaufbau der Dresdner
Innenstadt. Anfang 1951 wurden mehrere Vorschläge gemacht, an
welcher Stelle man diesen großen neuen Platz errichten könne.
Herbert Schneider arbeitete genaue Pläne für einen Demonstrationsplatz
östlich des Neuen Rathauses aus, welches gerade im Aufbau war.
Durch Vorgaben der politischen Ulbricht-Führung in Ostberlin
wurde jedoch der Altmarkt - mitten in der Altstadt festgelegt.
Die Besetzung der politischen, ehemals bürgerlichen Mitte durch
die SED-Führung war so ein höchst symbolischer Akt.
Vernetzung des Stadtgefüges zerstört
Ein gravierender, folgenschwerer städtebaulicher Fehler war neben
der völlig maßstablosen Ausweitung des Platzes seine Abriegelung
zu den umliegenden Nebenstraßen und -gassen. Auf der westlichen
wurden alle vier Gassen durch den von der Wilsdruffer Straße
bis zum Ring als Gesamtbaukörper reichenden Riegel abgeschnürt:
Scheffelstraße, Webergasse, Zahnsgasse, Breite Straße.
Auf der östlichen Seite die Große Frohngasse (seit 1451)
und auf der Nordseite die Schösser Straße (seit 1396).
Bis auf die letztgenannte Straße, die um 2017 neu verkürzt entstand,
sind diese Innenstadtstraßen heute nicht mehr existent.
Mit
dieser Abriegelung des Platzes wurde die Durchlässigkeit des
ehemals vernetzten inneren Stadtgefüges erheblich beschädigt
und ihm ein irreparabler Schaden zugefügt. Das Nichtfunktionieren
des Dresdner Stadtkerns hängt zu großen Teilen mit diesem
undurchlässigen geschlossenen Stadtraum zusammen.
Die Ausweitung des Platzes zur politischen Instrumentalisierung "werktätiger
Massen" wurde jedoch in der Platzgestaltung selbst nicht konsequent
ausgebildet. Wahrscheinlich aus fehlenden finanziellen Mitteln unterblieb
eine einheitliche Neupflasterung (Planung
Altmarkt 1960). Die Ausdehnung des alten Vorkriegs-Altmarktes
war bis 2007 in weiten Teilen des Gründerzeit-Kopfsteinpflasters
sowie der ehemaligen Bordsteinkanten ablesbar. Für den Bau einer
Tiefgarage wurde der Platz 2008 umgestaltet. Ein Teil des alten
Pflasters ist als
identitätsbildende Zeitschicht und
Erinnerungsmal wieder in den Boden eingelassen worden.
Drei Kopfbauten
Beim neuen Dresdner Altmarkt
ragen aus den monumentalen langen Wohnzeilen drei markante Kopfbauten
heraus, die gesellschaftlichen Zwecken dienten: 1) Haus
Altmarkt (Restaurant, Cafe, Tanz, Spiele) 2) Centrum Warenhaus
3) Cafe Prag - Beginn des II. Bauabschnittes Westseite
als Bauteil in der langen Zeile ein Risalit (Mischung aus Restaurant, Cafe,
Läden
und
Wohnen) Diese besondes herausgehobenen Bauten dienten städtebaulicher
Akzentuierung und
erhielten zusätzliche architektonische Aufwertungen.
Architektur:
neobarock-sozialistisch -
im
Inneren: Swinging Fifties
Ist der politisch aufgeladene Städtebau äußerst kritisch
einzuschätzen, kann man die Architektur selbst durchaus positiv
"dresdnerisch" beurteilen. "Eklektizistisch" wäre
eine falsche Beschreibung für diese durchaus kreativ-schöpferisch
interpretierende Bauleistung. Denn das Wort besagt, ein wahlloses
Zitieren und Vermischen historischer Stilelemente verschiedener Epochen.
Am Dresdner Altmarkt aber wurde sehr genau auf das Spezifische eines
Dresdner Lokalkolorits geschaut, wenn auch das Individuelle der bürgerlichen,
einzelnen Wohn- und Geschäftshäuser zugunsten eines kollektiven
Gemeinschaftsgedankens der Gleichheitsutopie aufgegeben wurde. Diese
Homogenität unter Aufgabe von Kleinteiligkeit war allerdings schon bei
Paul Wolf in Umbauplanungen für den Altmarkt der 1920er Jahre
angestrebt.
Das
Innere der durch Treppenanlagen verbundenen Läden über zwei
Geschosse wurde im Stil der Ornamentik der 50er Jahre üppig und
in geschwungener Leichtigkeit gestaltet. Moderne Zeitgeistströmungen
kamen in den swingenden Kurven des Interieurs, der Lichtarchitektur
und -reklame zum Ausdruck. Kaum eine der Innenausstattungen ist noch im Original vorhanden.
siehe:
Treppenhäuser
am Altmarkt
2006 wurden - ohne jeden Protest der Öffentlichkeit -
die stadtbildprägenden
Glas-Tulpenleuchten der späten 1950er durch gesichtslose
Lichtstrahler ausgetauscht. Wieder ein herber Verlust von gewachsener
Nachkriegskultur.
Foto: S. Baumgärtel (Jan. 06)
Kunsthistorische Einordnung
Manche Kunsthistoriker ordnen den Altmarkt, als "überzeugendstes Beispiel eines neuen Stadtplatzes in der
DDR" in die Phase "traditionalistische Rekonstruktionen 1940-1960" ein, wie z.B. Wolfgang Sonne in seinem Aufsatz "Kultur der Urbanität. Die dichte Stadt im 20. Jahrhundert" von 2006, nachzulesen in: www.stadtbaukunst.org (pdf).
Jüngere Forscher, wie z.B. Andreas Kriege-Steffen, machen als Vorbilder für die neue Altmarkt-Architektur
(Westseite) Bebauungspläne für den Altmarkt aus den 1920er Jahren aus, was sich u.a. in der Verwendung von einheitlich durchlaufenden Arkadengängen aufzeigen lasse. Zusammenfassung in:
https://edoc.hu-berlin.de 2013 Wolfgang Hänsch hat 2004
anlässlich des 100. Geburtstages von J.Rascher auf die
"disziplinierte florentinische Beschwingtheit" hingewiesen,
"die er mit der Übernahme der Arkadenstellung des Stallhofes als
Leitmotiv für die Westsei- te des Platzes erreichte". (Text
in der "Bauwelt")
Entwurf Altmarkt 1946 (ohne Verfasser), Vergrößerung
Vorbild u.a.: Hans Erlwein: Arkadengang der Löwenapotheke von 1913-14
Der arbeitende Mensch in der Kunst
Eine Vielzahl schmückend künstlerischer
Details in Form von Skulpturen im Stil des Sozialistischen Realismus,
verspielter Mosaiken, schmiedeeiserner Gitter, kupferner Dachreiter
uvm. sollte den festlich- gehobenen Charakter des ältesten- und
Hauptplatz der Stadt unterstreichen sowie (kunst-) handwerkliche Traditionen
- nicht elitär sondern volkstümlich- neubeleben. Natürlich
stand die Arbeiterklasse im Mittelpunkt (wie z.B.
die Sandsteinskulpturen "Drogist" [siehe Foto unten] und
"Küfer" [Böttcher] von Ernst Grämer am Eingang
zum Altmarktkeller). Die gegenständliche Politkunst Ostdeutschlands
versuchte mit dieser Arbeiterverherrlichung, sich von einer Westkunst
abzusetzen, die abstrakte
Darstellungen förderte.
Das Abqualifizieren schmückender Bauelemente als "Zuckerbäckerstil",
ein Frontbegriff aus Zeiten des Kalten Krieges, weicht zunehmend einer
sachlicheren Beurteilung. Was an dieser Architektur
"stalinistisch" oder gar "bolschewistisch", was
regional, was national, was DDR-deutsch und was allgemeiner Zeitgeist
innerhalb der Ostintegration in den "Warschauer Pakt" (ab
1955) gewesen ist, müssten eingehende kunsthistorische Analysen
klären.
Etwas verkürzt und ungenau in den historischen Dimensionen beschreibt
2005 Wolfgang Pehnt es so: "ein Nationalstil, der eigentlich
ein Heimatstil war."
Hohe
Decken, großzügige Wohngrundrisse, Parkett, z.T. Stuck,
lichte breite Hausflure, moderne Fahrstühle
- die Arbeiterpaläste bestechen durch außergewöhnlichen
Luxus für ansonsten eher bescheidene DDR-Verhältnisse. Leider
gingen die begehrten Wohnungen weniger an hart arbeitende, alleinstehende
Trümmerfrauen mit Kindern, als an führende SED-Genossen.
Hermann
Henselmann forderte mehr
bildkünstlerischen Schmuck.
Hermann
Henselmann, der damalige Chefarchitekt Ost- Berlins, hatte 1952 die
ersten fertig gestellten, fast schmucklosen Neubauten der Grunaer
Straße in Dresden Ost scharf kritisiert und mehr Künstlertum
und Fantasie gefordert. (Quelle:
deutsche
architektur 2/1952).
1961 ist der "hakenschlagende"
Henselmann mit dem Haus des Lehrers am Alex dann ganz in die DDR-Moderne
umgeschwenkt. Zur Architektur von Henselmann zwischen 1950 bis 1955
auf der Ostberliner "Stalinallee", die keinen unwesentlichen
Einfluss auf Dresden hatte - siehe: www.uni-leipzig.de-
Aufsatz von Claudia Honisch
1999)
Als Reaktion auf Henselmanns Kritik war die besondere Ausschmückung
des neuen Altmarktes auch ein Zugeständnis an die langen künstlerischen
Traditionen der Kunststadt Dresden. Während in vielen Wiederaufbaustädten
von Dessau bis Neubrandenburg die neuen Marktplatzfassaden eher Bescheidenheit
ausstrahlten, legten die Planer für Dresden einen eindeutig höheren
Maßstab und ein enthusiastischen Ehrgeiz für dieses Prestigeobjekt
der jungen DDR an den Tag. Dresden - das hatte Klang und war eine
besondere Verpflichtung. Bauen im neuen Zentrum der schönen
Stadt hatte auch eine gesamtdeutsche Verantwortung. Neben dem
politisch aufgeladen Monumentalen, Triumphierenden sollte die Architektur
bewußt nicht an die Moderne während der 1920 und -30er Jahre
anknüpfen, sondern an die humanistischen deutschen Traditionen
einer vormodernen Architektur und an die Leistungen eines lokal bezogenen,
traditionell starken Dresdner Kunsthandwerks.
Baugebundene Kunst
Wandbild von Hans Kinder im Treppenaufgang zum ehem "Café Prag"
Altmarkt Westseite von 1955-56. (Hintergründe zum Verhältnis von
baugebundener Kunst und Architektur, Übergang vom "Sozialistischen
Realismus" zur Nachkriegsmoderne sowie zur Botschaft dieses
Wandbildes: Dresdens Ruf als Kunststadt erneuern. Text vom Mai 2023)
"Nationale Tradition" - was ist das?
Die Altmarktbebauung
steht im Zeichen der sogenannten "Nationalen Tradition",
also eines vermeintlich typisch deutschen Baustils. Im Einzelnen jedoch
besaß dieser Stil eine eher regionale Prägung. (Die Bauten
in Leipzig, Rostock, Ostberlin und Eisenhüttenstadt hatten durchaus
ortbezogene Architekturelemente.) Die Epochenbezeichnung kann man
wie folgt definieren:
Das
Leitbild der Nationalen Bautradition schreibt 1950-55 die Grundprinzipien
der Architektur in der DDR vor, die sich im Wesentlichen durch eine
Abgrenzung von der "Internationalen Architektur" der Moderne
auszeichnen. Vorbild ist die Architektur der Sowjetunion, in der sich
seit Mitte der 1930er Jahre ein schöpferischer Eklektizismus aus
neoklassizistischen und neobarocken Elementen durchgesetzt hatte - unter Stalins Diktat.
Einfluss auf die deutsche Architektur in der beschimpften "Ostzone"
hatte jedoch auch der Westen. Bereits am 21. Oktober 1949 stellte
Bundeskanzler Konrad Adenauer aus Anlass des Inkrafttretens der
Verfassung der DDR den Alleinvertretungsanspruch
der BRD für das gesamte deutsche Volk, einschließlich des
Gebietes der DDR. (Infos dazu bei wikipedia). Das
offizielle, legitime Deutschland lag also nun in den Westzonen. Verständlich,
dass diese politische Entscheidung von der Pieck/ Grotewohl-
Regierung und vielen Bürgern in Sachsen, Thüringen und Brandenburg
als Provokation und ungerechtfertigte Entmündigung empfunden
wurde (obwohl vielen bewusst war, dass die SED-Regierung
nicht durch freie Wahlen an die Macht gekommen war).
Aus trotziger Angst vor drohender Teilung wurde nun verstärkt
das als National Empfundene in der (ost-)deutschen Kunst und Kultur herausgestrichen.
Wenige Wochen vorher hatte am 27. Juli 1950 die Volkskammer der DDR
die "16 Grundsätze des Städtebaus" beschlossen
(unter Vorarbeit der Dresdner "Planungsgrundlagen", 1949/50 durch
Kurt W. Leucht). Darin heißt es im Punkt 14: "Die zentrale
Frage der Stadtplanung und der architektonischen Gestaltung der Stadt
ist die Schaffung eines individuellen einmaligen Antlitzes der Stadt.
Die Architektur muss dem Inhalt nach demokratisch und der Form
nach national sein. Die Architektur verwendet dabei die in den fortschrittlichen
Traditionen der Vergangenheit verkörperte Erfahrung des Volkes."
Bereits ab 1955 wurde dieses Leitbild schrittweise von der international
orientierten DDR-Moderne mit Hang zu Abstraktion und strenger Geometrie
abgelöst. Auch der Punkt 6 dieser
Grundsätze ist für den Dresdner Altmarkt aufschlussreich: "Das
Zentrum bildet den bestimmenden Kern der Stadt. Das Zentrum der Stadt
ist der politische Mittelpunkt für das Leben seiner Bevölkerung.
(...)Auf den Plätzen im Stadtzentrum finden die politischen
Demonstrationen, die Aufmärsche und die Volksfeiern an Festtagen
statt. Das Zentrum der Stadt wird mit den wichtigsten und
monumentalsten Gebäuden bebaut, beherrscht die architektonische
Komposition des Stadtplanes und bestimmt die architektonische
Silhouette der Stadt."
Deutsche Einheit
Natürlich spielten eine ganze Reihe politische Motive in der
angestrebten Suche nach signifikanter deutscher Architektur eine Rolle.
Im Stil der Propaganda des Kalten Krieges wurde von Seiten der DDR
die "Spalterpolitik" Westdeutschlands heftig kritisiert,
die sich politisch und kulturell einem "US-Imperialismus"
und einer diktierten globalisierten Moderne unterordnete und die die
eigenen Werte einer deutschen Kultur aus opportunistischer Anpassung
aufgäbe. Scharf gegeißelt wurde der bloße Funktionalismus
und die "Kastenmoderne" Amerikas, wobei in der Kritik ausgeblendet
wurde, dass die Bauhausmoderne eigentlich eine der wenigen originären
deutschen Bau-Erfindungen war und wenn man so will, auch eine Art
"nationale Tradition" innerhalb eines internationalen Trends
darstellt.
Ostdeutschland halte dagegen die wahre deutsche Kultur-tradition aufrecht
und betreibe im Gegenzug von Adenauers Westintegration eine nationale
Einheitspolitik (natürlich unter sowjet-sozialistischen Vorzeichen).
Diese feindschaftliche innerdeutsche Auseinandersetzung um den klaffenden
Riss Europas am "Eisernen Vorhang", die sich bis an die
Grenze des heißen Krieges hochschaukelte, spiegelt sich als
steingewordene Politik auch am Dresdner Altmarkt wider.
Altmarkt Süd- bzw. Nordseite
Im
Herbst 1953 lobte das Ministerium für Aufbau in Berlin einen
Wettbewerb zur Ausgestaltung der Südseite des Platzes aus. Einem
Kollektiv des Lehrstuhls für Städtebau der Hochschule für
Architektur in Weimar wurde der erste Preis unter zehn Bewerbern zuerkannt.
Der pavillonartige Riegel, der den Zentralen Platz in einen nördlichen,
ornamental aufgefassten Demonstrations- und baumumstandenen Sekundärplatz
teilte, gelangte nicht zur Ausführung. Vom geplanten und geforderten
Kulturhochhaus nach sowjetischem Vorbild wurde nach langwieriger Diskussion
Abstand genommen.
Auch zu einer zentralen
Rednertribüne an einem Kulturhaus ist es später nie mehr
gekommen, so dass die Aufweitung des Altmarkt zu einem komplett
überdimensionierten Aufmarschplatz (2 ha) letztlich völlig unnötig
war. Herbert Schneider hatte noch in seinem Entwurf (rechts im Modell
zu sehen) ein solch vorgelagertes autoritäres Redner-Plateau für
Standdemonstrationen vorgesehen. Auch der Kulturpalast sollte später
ursprünglich solch eine
Rednertribüne erhalten. Letztlich wurde sie aber nie gebaut. An
den 1. Mai-Demonstrationen entlang der Ernst-Thälmann-Straße wurde
stets eine mobile Tribüne auf dem Altmarkt errichtet, auf der keine
Reden abgehalten wurden.
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Ausgeblendet in der DDR-Propaganda ebenfalls: die traditionalistische
Architektur, die es noch lange in den 50er Jahren in der alten Bundesrepublik
gegeben hatte. Zu den Merkmalen dieser deutschen Nachkriegsarchitektur
gehörten u.a.: Satteldach, Putzfassade und Gauben, zuweilen auch
ein krönender Dachreiter. Hier im Bild: ehem. Ordnungsamt am
Robert-Koch-Platz in der niedersächsischen modellhaften Aufbaustadt
Wolfsburg, errichtet 1955.
(Aufnahme: 2005, T.Kantschew)
Literatur:
DDR-Bauzeitung: "Deutsche Architektur", 1. Jg. 1953, 1-3
Hier finden sich auch Beiträge über den Wettbewerb der Altmarktbebauung,
an dem Schneider, Rascher, Rauda und Bärbig teilgenommen hatten.
"16
Grundsätze des Städtebaus" - Originalquelle vom
Aufbaugesetz der Volkskammer von 1950
Ralf Koch: Leipzig und Dresden: Städte des Wiederaufbaus in Sachsen. Stadtplanung, Architektur, Architekten 1945- 1955. Diss. Uni Leipzig 1999
Jörg Kirchner: Traditionalismus in der Architektur der frühen DDR, Greifswald 2001, Text
Gisela Rapp: Lebenslauf Johannes
Rascher. In: Susann Buttolo (Redaktion): Zum 100. Geburtstag des
Architekten Johannes Rascher. Sächsisches Archiv für Architektur und
Ingenieurbau, Dresden 2005
Andreas Kriege-Steffen: Ein "altes" Bild der neuen Großstadt. Der Wettbewerb zur Gestaltung des Stadtzentrums in Dresden im Jahr 1952,
In:
https://edoc.hu-berlin.de 2013
Andreas Kriege-Steffen: Stadtplanung in Dresden 1945-1952
Leitbilder. Bezugspunkte. Streitfragen In: BLICK ZURÜCK NACH VORN
Architektur und Stadtplanung in der DDR Herausgegeben von Sigrid
Hofer und Andreas Butter Schriftenreihe des Arbeitskreises Kunst in
der DDR, Band 3 Philipps-Universität Marburg – 2017,
Text als PDF (S. 80-103)
Andreas Kriege-Steffen: Das Stadtbild und die Idee der Stadt in den
städtebaulichen Diskursen der Nachkriegszeit. Der 1952 veranstaltete
Wettbewerb für die städtebauliche und architektonische Gestaltung des
Zentrums und der Ost-West-Magistrale in Dresden. Dissertation Dresden
2020, Thelem Verlag
Alexander Karrasch: Die Nationale
Bautradition denken. Architekturideologie und Sozialistischer
Realismus in der DDR der Fünfziger Jahre. Perspektiven der
Moderne, Band 2, Berlin 2015
Dissertationsprojekt 2013/14
Christian Klusemann: Architektur der nationalen Tradition der frühen 1950er Jahre in der DDR – Planungen und Bauten in den "Aufbaustädten" Dresden, Leipzig, Magdeburg und Rostock (Arbeitstitel),
Philipps-Universität Marburg, Text
Hysterie und antiamerikanische, dumpfe Propaganda gegen die Moderne
- Literatur aus Dresden:
Zeitquelle "Zeichen unseres Selbstbehauptungswillen":
"Die seelenlosen und kalten, nur vom Zweck oder der Konstruktion
her erdachten Bauten des Formalismus
sind letzter Ausdruck der Entmenschlichung des Lebens und der Kunst
durch den Imperialismus. Heute nutzt der aggressive amerikanische
Imperialismus diese Bauweise als Waffe zur Vernichtung der nationalen
Existenz der Völker. (...)
Die neue Baukunst des sozialistischen Realismus ist voller Freude,
Zuversicht und Stolz. Sie will sich nicht von den Errungenschaften
der Vergangenheit lösen, sondern sie auf höherer Ebene fortsetzen.
Um dies zu erreichen, blickt sie bewusst auf die Werke der nationalen
Tradition zurück und entnimmt ihnen kritisch das Beste im Interesse
der Erfüllung heutiger Aufgaben." (aus: Deutsche Baukunst
in zehn Jahrhunderten, Dresden 1953, S. 15)
American Way of Life
Ironie der Geschichte: im sozialistischen "Haus Altmarkt",
das mit einer Betonung von "deutscher Kunst und Kultur"
polemisch gegen einen "amerikanischen Kultur- imperialismus"
errichtet wurde, verkauft seit 1992 die US-Fastfoodkette "Mc
Donalds" Hamburger und Cola.
Allerdings erinnert bereits die ehemalige swingende Bar von 1956 im
selben Haus an kulturelle amerikanische Vorbilder. Die Bar (engl.
ursprüngl: Schranke, Barriere, Hindernis) und der "Barkeeper"
wurden schließlich nicht in der Sowjetunion erfunden.
Herbert Schneider (1903 - 1970)
Chefarchitekt Dresdens von 1953 - 1962 in der Ägide von Stadtbaudirektor
Liebscher. Schneider machte bereits 1946 mit einem z.T. modernen Aufbauplan
für Dresden während der Ausstellung "Das
neue Dresden" auf sich aufmerksam, bei dem z.B. die Prager
Straße gänzlich neu interpretiert wurde und der Hauptbahnhof
symmetrisch in der Verlängerung der Prager Straße komplett
umgestaltet worden wäre.
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Herausgeschobener
Kopfbau mit hohem triumphalen Pathos: Haus Altmarkt
Ostseite Altmarkt von
Herbert Schneider
Figurengruppen
am Hauptportal von Otto RostCafé im Haus Altmarkt 1958, umgebaut für McDonalds 1992
Innengestaltung
Altmarkt Ostseite: Heinz Zimmermann und Kollektiv
Mokkastube mit Wandbild, Foto: Dt. Fotothek
Glasmosaiksäule
von Johannes Beutner
Lichtarchitektur
am Dresdner Altmarkt in den 50er Jahren. Architekt: J. Rascher. Hier:
Tanzgaststätte Café Prag (Foto: Richard Peter, in: "Dresdener
Notturno")
Ehemalige Bar im
"Haus Altmarkt" von 1957
"Blick aus der Magistrale nach Osten auf den neuenstehenden Altmarkt",
ca. 1953,
Vergrößerung. Links im Bild: geplantes Kulturhochhaus von
H.Schneider, Thälmannstraße verzerrt dargestellt - ohne Verkehr, dafür
mit zwei monumentalen Propagandakunstwerken.
Hybride Hochhausträume: Entwurf für ein zentrales Partei-
und Kulturhaus an der Nordseite des Altmarktes. Es wurde, Stalins
Tod sei Dank, nicht verwirklicht. Der eklektizistische Turm von Herbert
Schneider (1953) hätte, um die historische Überlegenheit
des Sozialismus zu betonen, alle anderen Türme der Stadt überragt.
Vorbild: Lomonossow-Universität
in Moskau (1949 - 53) oder der Kulturpalast in Warschau.
Kulturhaus in Dresden, ca. 1955, Entwurf Herbert Schneider. Modell
2017 von Antoine Truong-Huu-Kha-Rufer und Sacha Villemin, TU Dresden -
mit geplanter Rednertribüne auf vorgelagertem Plateau.
Vergrößerung
Plan Altmarkt 1958, wieder als Aufmarschplatz und Propaganda-Instrument.
Das Hochhaus wurde ein Kubus mit neben- und freistehenden Campanile.
Der Neumarkt wäre ein überdimensioniertes Rechteck geworden.
Vergrößerung.
Zeitkolorit: Propagandaschrift
Ruth Seydewitz: Das neue Dresden,
Berlin (Ost) 1961 (Kongress Verlag).
Die jüdische Autorin war die Ehefrau von Max Seydewitz, SED-
Ministerpräsident vom Land Sachsen 1947- 1952.
Frauenfigurengruppe am Haus Altmarkt von Otto Rost
Wandgemälde "Poem auf Dresden" (1955-56) des Dresdner Malers
Hans Kinder im Treppenaufgang zum "Cafe Prag",
Foto: T.Kantschew 2023 (hier Ausschnitt),
Vergrößerung komplettes Wandbild - leichter Hang zur Abstraktion.
2013 wurde das lange abgehängte Bild wieder frei gelegt und
restauriert.
Hofseitiger leicht
geschwungener Hausflur Altmarkt 24 (Westseite).
Vergrößerung
Relief Marktszene (Kunst am Bau) im Hintergrund, (beide Fotos: T.Kantschew 2023)
Hausflur Attmarkt 23-24 mit Travertinwand-verkleidungen und
aufwändigen Messingleuchten. Foto: T.Kantschew 2023,
Vergrößerung.
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Johannes
Rascher (1904 - 2006)
"Der 1904 als Sohn eines
Baumeisters in Petersdorf im Riesengebirge geborene Architekt Johannes
Rascher, Schüler 1926-29 von Wilhelm Kreis, hatte in Dresden
bei Ludwig Wirth und später im Architekturbüro von Schilling
& Gräbner als leitender Architekt gearbeitet.
Nach dem Krieg zunächst selbständig, leitete Rascher ab
1951 als Chefarchitekt das volkseigene VEB Bauplanung Sachsen eine
der beiden großen Entwurfsabteilungen. Mit
seinen Bauten am Dresdner Altmarkt hat er wohl seine bedeutendsten
Spuren hinterlassen. Als Ergebnis eines Wettbewerbserfolges entstand
die Gebäudeabfolge an der Westseite des Altmarktes in den Jahren
1953 bis 1958 in Zusammenarbeit mit Gerhard Guder, Wolfgang Müller
und anderen. Diese Arbeit führte zur sehr persönlichen Auseinandersetzung
Johannes Raschers mit der "Kulinatra-Doktrin", der damals aktuellen
Baupolitik. Durch den Umbau einer Ausflugsgaststätte entstand
1946 durch seine Hand das erste wiederbespielbare kleine Theater im
zerstörten Dresden, das bis 2016 als genutzte Operettentheater.
Foto
Der begnadete Zeichner Johannes Rascher gewann eine Reihe von Wettbewerben.
Er realisierte Schulbauten, Industriebauten, Kulturbauten, mit Wolfgang
Hänsch den städtebaulichen Entwurf für das Wohngebiet
Dresden-Johannstadt sowie das Ferienhaus für Manfred von Ardenne
auf der Insel Usedom. 1960 nahm er am Wettbewerb für das zentrale
Hochhaus
des Ministerrates in Berlin Mitte teil.
Nach seiner im August 1961 erfolgten Übersiedlung nach Wiesbaden
war Johannes Rascher bis ins hohe Alter beruflich tätig und baute
Wohnhäuser, Klubhäuser und Sportanlagen." Gisela Raap, in:
ZEITZEUGNISSE
Architektur und Ingenieurbau in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
in Sachsen.
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Aktueller Forschungsstand 2011:
Städtevergleich: Berlin - Warschau:
Das architektonische Erbe des Sozialismus in Warschau und Berlin – Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa und Karl-Marx-Allee
Eine Gemeinschaftsausstellung des Denkmalamtes Warschau und des Hauses der Geschichte in Warschau in Verbindung mit dem Landesdenkmalamt Berlin und dem Deutschen Historischen Museum
Das sogenannte MDM-Viertel in Warschau (Marszałkowska Dzielnica Mieszkaniowa) und die Karl-Marx-Allee (ehemals Stalinallee) in Berlin gelten als städtebauliche Schlüsseldenkmale des Sozialistischen Realismus in Europa, wie er sich nach 1945 unter dem Diktat der sowjetischen Kunstdoktrin östlich des Eisernen Vorhangs
allenthalben durchsetzen sollte.
Die Bauten sollten entsprechend der stalinistischen
Doktrin "sozialistisch im Inhalt, national in der Form" ausgerichtet sein und Wohnraum für die Arbeiterklasse bieten. Ihr Denkmalwert ist heute unbestritten.
Die früher im Kalten Krieg gelegentlich als "stalinistische Zuckerbäckerarchitektur" verspotteten Wohnbauten haben in Fachkreisen der Architekturgeschichte und Denkmalpflege längst Anerkennung als wichtige Strömung der europäischen Nachkriegsarchitektur erfahren.
Dank ihrer zentralen Innenstadtlage, der gehobenen Ausstattung und schmucken Ausgestaltung erfreuen sich diese Nachkriegsquartiere auch als Wohnadresse besonderer Beliebtheit. Die Ausstellung vergleicht die beiden meistbeachteten Wiederaufbauprojekte der 1950er-Jahre in der Volksrepublik Polen und in der DDR und diskutiert Möglichkeiten der Erhaltung und Erschließung dieser beiden Nachkriegsensembles als Teil des gemeinsamen europäischen Erbes.
(Text als pdf von www.stadtentwicklung.berlin.de) Ausstellung: 25. August bis 9. September 2011 im Zeughaus Berlin mit Katalog.
Umnutzungen
Das "Haus Altmarkt" an der Ostseite des Platzes wurde 2014 zu einem Hotel umgebaut.
Die "Berlinbau Verwaltung GmbH" kaufte bereits 2009 von der Gagfah die gesamte Ostseite des Altmarktes. Die Bauherren
ließen 2013-14 in dem denkmalgeschützen "Haus Altmarkt" ein
Hotel einrichten ("Star Inn Premium") und die Wohnungen sanieren.
Die Arkaden im Haus Altmarkt sind verglast worden.
Mehr Infos:
https://starinnhotels.com
Die PATRIZIA Investmentmanagement GmbH baute 2012-13 das ehemalige Kabarett "Café Prag" an der Westseite zu einer Markthalle um. Im Hofbereich wurde ein Anbau in zeitgenössischer Architektur
als Markthalle errichtet.
Doch die Markthalle hatte zu wenig Besucher und wurde 2016 zu einer
Spielbank umgebaut.
Seit Ende 2020 hat das Chemnitzer Startup-Unternehmen „Staffbase“ in
den Räumen des "Café Prag" seine Büroräume. Eine öffentlicher Zugang
ist nicht mehr möglich. Nach zweimaligen Besitzerwechsel übernahm 2021
der große Immobilienplayer "Deutsche Investment" das Altmarkt-Karree
und preist es in seinem Portfolio als "Landmark Propertie" an.
2018 Umwandlung von Geschäftsräumen in Restaurants:
Fast alle ehemaligen eleganten, über 2 Etagen reichenden Läden -
sowohl an der Ost- als auch an der Westseite des Altmarktes - wurden
mittlerweile zu Restaurants umgewandelt mit Terrassenbetrieb. Shopping
hat sich gänzlich in die Altmarkt-Galerie zurück gezogen.
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Architekt Johannes Rascher am Tag des
Richtfestes Altmarkt Westseite 19.12.1953 mit Zeichnungen von ihm. Foto:
Deutsche Fotothek
Wettbewerb Dresden
"Zentraler Bezirk" Johannes Rascher, Altmarkt Richtung Süden,
Zeichnung in Bleitstift auf Transparent 1952 (Ausschnitt)- Vergrößerung
Nach diesem Entwurf Raschers wäre die Ostseite des Altmarktes etwa
auf ihrer historischen Höhe gekommen. Der Altmarkt hätte dadurch
ein halbwegs erträgliches menschliches Maß in seiner Ausdehnung
erhalten.
Modell des überarbeiteten Entwurfs für die
Altmarkt Westseite (inklusive HO-Warenhaus an der Ecke zur Thälmannstr.) von J. Rascher
1952, Foto: Sächsisches Staatsarchiv,
Hauptstaatsarchiv Dresden, 11793 Entwurfsbüro für Hochbau, Nr. 21, Bild
Nr 333,
Vergrößerung
Altmarkt Arkaden
von Johannes Rascher, Foto: 1958, Deutsches Bundesarchiv
Modell Gebäudeteil Ringcafé 1956, Foto: SLUB
Varieté "Cafe Prag" zeitgenössische Postkarte (Ausschnitt) - Vergrößerung, Innenansicht
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