Studentenwohnheim St. Petersburger Straße
"... mit uns zieht die neue Zeit"

 

Architekten: Heinrich Rettig, Manfred Gruber, Rolf Ermisch
Freifläche:   Werner Bauch
Bauzeit:      1960 - 63
Adresse:     Petersburger Straße
Sanierung/Modernisierung: 2001 - Ulf Zimmermann
Website:    www.ag-zimmermann.de


Erster Großplattenbau in reiner Betonbauweise Dresdens

Die drei schräg zur ehemaligen Leningrader Straße angeordneten Hochhäuser Nr. 21, 23 und 25 müssen als ein städtebauliches Ensemble aufgefasst werden. Als erste Großplattenbauten von Dresden stehen sie unter Denkmalschutz.

Aufbau: dreibündige Anlage, 15 Stockwerke, Dachterrassen mit Klubräumen.

Während der späten 1950er Jahre überzog das modifizierte Wiederaufbaukonzept Dresdens Innenstadt mit uniformen, sechsstöckigen Wohnblöcken in Ziegelbauweise mit traditionellen Spitzdächern. Schneller, billiger und rationeller ging es mit der Einführung vorgefertigter Betonplatten, die nur noch vor Ort zusammenmontiert werden mussten. (Bereits 1957-58 hatte man auf der Borsbergstraße mit Ziegelschuttplatten erste industrielle Bauweisen erprobt.)
Mit der damit vollzogenen Verabschiedung vom gemauerten Ziegelwohnhaus löste sich der DDR-Wohnungsbau ebenfalls von den damals als historisch überkommen angesehenen, traditionellen, schräg geneigten Dächern hin zum Flachdach.

Die drei Studentenwohnheime an der ehemaligen Leningrader Straße, sind in ihrer stadtkompositorischen Anordnung in weit gezogener Dynamik aus einem völlig neuen Stadtbaukonzept entstanden, das durch neue gesellschaftliche Verhältnisse verschwenderisch und großzügig mit innerstädtischem Raum umgehen konnte. Zudem wurden die drei Baukörper ganz bewusst auf die neue Schnellstraße konzipiert, die erst aus der beschleunigten Autoperspektive als rhythmische Reihung wahrgenommen werden soll. Die vierte Dimension des Raumes "Zeit" spielt indirekt bei diesem Architektur- und Stadtkonzept eine nicht unbedeutende Rolle. Die zeitgenössischen Fotografien aus der Entstehungszeit bringen gerade in der Verbindung von Hochhäusern und Schnellstraße diese aufgeladene Hochstimmung an Beschleunigung, Fortschritt und Dynamik zum Ausdruck. Auch an anderen Ausfallstraßen der Innenstadt wurde diese Komposition variierend ausgeführt: z.B. an der Freiberger Straße, der Grunaer oder an der Budapester Straße - alle in den 1960er Jahren.


Faszination Modernität, Schnelligkeit und Höhe


Offene Stadträume wurden im Ost-Deutschland der 1960er Jahre nicht als Anonymität und Unbehaustheit gedeutet, sondern als freies, durchlüftetes Stadtpotential, wo sich der sozialistische "neue Mensch" entfalten kann. Sinnfällig wurden diese drei ersten Hochhäuser Dresdens studentischer Jugend zur Verfügung gestellt, also für Angehörige der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) ebenso wie für ausländische Mitstudenten. Allerdings wurde später weiter südlich noch ein eigenes "Ausländerstudentenwohnheim" errichtet.


Freiraumgestaltung


Differenzierte Grünflächen, gestaltet 1965 von Werner Bauch, vermitteln zwischen den Hochhäusern. Besonders die dreieckigen Vorplätze der Hochhäuser Nr. 21 und 23 sind qualifiziert mit einer modern-strahlenförmigen Bodenfläche gestaltet. Trapezförmige Felder mit kleinen Pflastersteinen werden von helleren Granitplatten-Streifen unterteilt. Die Mitte bilden versetzt angeordnete Rasenflächen, die eine eigene Spannung erzeugen.
Werner Bauch (1902-1983) war Professor an der TU Dresden, Werkverzeichnis

Die Freifläche des mittleren Hochhauses Nr. 23 wird zudem durch die kraftvolle Bronzeplastik. "Zwei Frauen" von Wieland Förster betont (geschaffen 1961-64 ). Diese stille intensive Zwiesprache der überlebensgroßen Figuren ist inszenierter Bestandteil einer Auftragskunst als "Kunst am Bau". Foto

Ein anderer Titel der Plastik "Weibliche Jugend beim Studium" kommt der politischen Aussage näher. Zudem wird mit der erhöht sitzenden indischen Frau ein proklamierter Internationalismus in Szene gesetzt. Hintergründe zur Entstehung hier.

Freiflächengestaltung der TU-Studentenwohnheime Petersburgerstraße (ehemals Christianstraße) von Werner Bauch 1965
Haus Nr. 23 mit Freiflächengestaltung aus der Vogelperspektive


Sanierung der Wohnheime 2001

Die drei Studentenwohnheime wurden 2001 von der Architektengemeinschaft Ulf Zimmermann saniert. Das Team integrierte in einer funktionalen Neuordnung der Etagen an der westlichen Giebelseite Gemeinschaftsküchen. Eine aufwändige Betonsanierung ging einher mit zusätzlicher Wärmedämmung. Großflächige Faserzementplatten legten eine schützende Haut um das Haus. Die Grundrisse sind nun Einzelzimmernutzung angepasst.
Die Sanierung (Architektengemeinschaft Ulf Zimmermann) wurde mit dem "Bauherrenpreis 2001" der Aktion "hohe Qualität - tragbare Kosten" und dem "Erlwein-Preis der Stadt Dresden" geehrt.

Ornamentales Gipsrelief von Peter Albert

Leider wurde bei der Sanierung eines Wohnheimes im Treppenhaus Petersburger Straße 25 das dortige Kunstwerk komplett mit Platten überdeckt: "Über zehn Stockwerke reicht das farbintensive Gipsrelief von Peter Albert im Treppenhaus des Wohnheims auf der St. Petersburger Straße 25. Die abstrakten Formelemente seiner seriell angelegten Komposition fügen sich zu markanten Quadraten.
Nach einer aufwendigen Sanierung der Studentenwohnheime in den 1990er-Jahren wurde die abstrakte Wandarbeit mit Vorsatzwänden verblendet. Bis heute ist das Gipsrelief von Peter Albert auf diese Weise zwar konserviert, aber dem Blick der Öffentlichkeit auf unbestimmte Dauer entzogen.
"
Siehe Sammlungen TU Dresden


Plattenbaumuseum Dresden

Im einzigen Plattenbaumuseum (Ost-)Deutschlands in Dresden Johannstadt kann man eine Menge Interessantes zur Herstellungsweise der industriell in Serie gefertigten Platten erfahren.
"Auf einem 70 Hektar großen Areal inmitten des Wohngebietes Johannstadt produzierte das "Plattenwerk Johannstadt" von 1958 bis zu seiner Stilllegung 1990 Betonplatten für den sozialistischen Wohnungsbau. Als einem der ersten Plattenwerke der DDR kam ihm in dem zerstörten Dresden besondere Bedeutung zu: die Trümmer der zerbombten Stadt wurden nicht weggeschafft, sondern für den Wiederaufbau recycelt. Die Ziegel wurden zu Split gemahlen, mit Beton gemischt und anschließend zu Blocksteinen und Platten gepresst."

mehr Text und Infos unter:

http://betonzeitschiene.com und

https://de.wikipedia.org/wiki/Betonzeitschiene


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Städtebau: Nord-Süd-Verbindung, Wettbewerb 1952


Diese breite Verkehrsstraße wurde bereits im Dresdner Stadtplanungsamt unter Paul Wolf in einem neuen Innenstadtplan von 1938 konzipiert. Der damalige Stadtbaurat wollte neben der politischen Bedeutung der Achse vor allem eine leistungsfähige Nord-Süd-Verbindung schaffen, die die Dresdner Altstadt umfährt.
Nach 1945 war dieser wesentliche städtebauliche Ansatz einer effizienten, aber auch äußerst rigiden Verkehrsplanung schnell wieder im Gespräch und wurde als eine der ersten Wettbewerbe bereits 1952 - also noch vor den Altmarkt-Planungen - in Angriff genommen. Diese wichtige Nord-Süd-Verbindung sollte das Rückgrat für motorisierten Verkehr bilden. Den 1. Preis erhielt damals das Kollektiv Wolfgang Rauda, den 2. Preis Nowotny, Pönisch. Einen Ankauf erhielt Wolfgang Klier. Auch Hans Richter (Architekt in der Siedlung Trachau) beteiligte sich am Wettbewerb. Bei einigen Wettbewerbsteilnehmern lag der von der SED-Parteiführung geforderte "zentrale Platz" als Forum für politische Demonstrationen direkt östlich des Pirnaischen Platzes.
Der Erstplatzierte Rauda konzipierte denn auch eine überdimensionierte Versammlungshalle an einem riesigen Aufmarschplatz, die fatal an die Planungen des NS-Gauforums von 1938 ganz in der Nähe erinnert. Sein großzügiger Nord-Südstraßenzug mit Baumreihe auf dem Mittelstreifen wird gesäumt von großstädtischen Häuserblocks, die in traditioneller Manier, etwas gründerzeitähnlich, direkt an die Hauptstraße stoßen. Wolfgang Klier dagegen säumt die Trasse mit monumentalen Hausblöcken, die jeweils von einem Querriegel akzentuiert werden, aber auch insgesamt geschlossene Blöcke ergeben.
Die Planung von 1952 wurden nicht verwirklicht, da nach der Festlegung auf den Altmarkt und die Ernst-Thälmann-Straße alle Kraft auf die Umsetzung dieser Planungen verwendet wurde und erst Ende der Fünfziger Jahre die Nord-Süd-Trasse wieder zum Thema wurde.

Die sehr großzügige Breite der Nord-Süd-Verbindung mit grünen Mittelstreifen wurde wieder aufgenommen, aber mit völlig veränderter Architektur umgesetzt.

"Anläßlich des 100. Geburtstag Wladimir Ilitsch Lenins und in Würdigung der engen Beziehungen Dresdens zu Leningrad", erhielt 1970 auf Beschluss des Rates der Stadt Dresden die neu geschaffene Nord-Süd-Verbindung den Namen Leningrader Straße. Der alte Name Christianstraße (in Erinnerung an die Vorfahren des Hauses Wettin, insbesondere Kurfürst Friedrich Christian) wurde damit aufgehoben. Nach vorausgegangener Rückbenennung der Stadt Leningrad in St. Petersburg erfolgte 1991 die Umbenennung in St. Petersburger Straße.



Statt gesamteuropäisches Autobahnnetz -
Transitverkehr durch die Innenstadt


Durch die nach der Bombardierung und Flächenenttrümmerung entstandene weiten Brachflächen als frei zu planende Tabula Rasa wurde ab 1960 mit einem überdimensioniert breiten Straßenzug vom Wiener- über Pirnaischen Platz bis hin zum Carolaplatz und Neustädter Markt als eindeutiger Autobahnersatz der nicht zustande gekommenen Autobahnplanung nach Prag/Wien/
Belgad von 1950
realisiert. Die sich manifestierende europäische Spaltung ("Eiserner Vorhang") hatte diese weitreichende, gesamteuropäisch gedachte Transitplanung zunichte gemacht. Der Fernlastverkehr innerhalb der RGW-Staaten wurde nun ab 1960, also noch vor dem Mauerbau, vom Autobahnabzweig DD-Nord zur E55 Richtung tschechoslowakischer Grenze mitten durch die Innenstadt geleitet. (RGW = "Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe" - ehem. Ostblockländer)

Diese neue Nord-Süd-Verkehrsachse Petersburger Straße wurde als wichtigstes Rückgrat der Dresdner Infrastruktur konzipiert und sorgt bis heute für einen beschleunigten Transitverkehr durch Dresden, der unnötig Verkehr in die Stadt hinein zieht.


Was ist eine "schöne Stadt" im 21. Jahrhundert?

Die durch die fertiggestellte Autobahn nach Prag nicht mehr benötigte überbreite Schneise mitten durch die City kann ein moderneres, zukunftsfähiges Verkehrskonzept für Dresden ermöglichen, das an einen mittelfristigen Rückbau dieser unnötig die Stadtteile zerschneidende Fernlaster-Strecke hoffen lässt. Andere clevere westeuropäische Großstädte demonstrieren mit ihren rückgebauten Verkehrsräumen bereits jetzt, wohin die Reise der Urban Renaissance im Streben um eine lebenswerte Innenstadt künftig gehen wird. Auch die USA ist ganz vorn im Rückbau der autogerechten Stadt, wie der Abriss der Schnellhoch-Autostrecke durch Bostons Innenstadt beweist.

Baureife Pläne zur Verschmälerung der Petersburger Straße existieren durchaus bereits in den Schubladen von Dresdner Behörden. Bei der berüchtigten Schwerfälligkeit in der Verwaltungsstadt wird man allerdings nicht vor 2050 damit rechnen können.

1950 war man anscheinend im östlichen Teil Deutschlands in der Erkenntnis schon weiter. In den "16 Grundsätzen des Städtebaus" heißt im Punkt 8:
"
Der Verkehr hat der Stadt und ihrer Bevölkerung zu dienen. Er darf die Stadt nicht zerreißen und der Bevölkerung nicht hinderlich sein.
Der Durchgangsverkehr ist aus dem Zentrum und dem zentralen Bezirk zu entfernen und außerhalb seiner Grenzen oder in einem Außenring um die Stadt zu führen."


Während Leipzig im Jahre 2004-05 die gesamte Innenstadt für den ÖPN der S-Bahn untertunnelt, baut man in Dresden fleißig an unzähligen Innenstadt-Parkplätzen - das nächste gigantische Parkhaus entsteht zur Zeit 2008 unter dem Altmarkt. Niemand käme dagegen in Leipzig auf den absurden Gedanken, mitten unter dem alten Markt/ Naschmarkt oder unter dem Nikolai-Kirchhof zentrale Tiefgaragen für mehr als 1000 Individualfahrzeuge zu errichten. In Dresden allerdings scheinen die Skrupel gering. Mit solch einer kurzsichtigen, nicht mehr modern zu nennenden Verkehrspolitik nimmt sich Dresden sein größtes Zukunftspotential: ein lebenswerter, grün atmender Innenstadtraum für sich auf zwei Füßen fortbewegende Menschen.

Fuss-Gänger: auf die Straße!



Literatur:

Konrad Krause, Zwischen politischen Vorgaben, Westvergleich und Materialmangel: Die verkehrsgerechte Stadt in der frühen DDR. Eine Untersuchung am Beispiel Dresdens in den Jahren 1945 - 1960. Grin Verlag 2013

Leningrader Straße 1967 - Faszination Moderne
Foto: 1967Leningrader Straße (jetzt Petersburger Straße) 1967 mit Blick zur langen Wohnscheibe Prager Straße
Foto: 1967 Blick auf die Leningrader Straße und das städtebauliche Kozept der offenen Bauweise

Leningrader Straße 1980 (Foto: Inger Sørensen) - vor der Sanierung: weiß

Nach der Sanierung 2001 - grauTreppenaus mit eigenwilliger Fassade 1960
Plastik v. Wieland Förster


Studentenwohnheim Lobby nach der Sanierung von Ulf Zimmermann, 2000


Freifläche von der Dachterrasse des Studentenheims aus, Foto: Juli 2013 TK


Wettbewerb Nord-Süd-Verbindung 1952 - 1. Preis: Kollektiv Wolfgang Rauda, Vergrößerung, Quelle: IRS Erkner, Blatt 2


Wettbewerb Nord-Süd-Verbindung 1952 - Ankauf: Wolfgang Klier, Vergrößerung, Quelle: IRS Erkner

 


Planungsleitbild Innenstadt 2007 - Entwurf Vergrößerung - Die Planung sieht den Rückbau der St. Petersburger Straße vor.