"Gläserne Manufaktur" - VW-Werk am Großen Garten
Faszination Technik verbunden mit anspruchsvollem Design

 

Architekten: Gunther Henn - www.henn.com
Landschafts-
architektur:
Stötzer + Neher (Sindelfingen)
Bauherr: Volkswagen (Automobilmanufaktur Dresden GmbH)
Bauzeit: 2000- 02
Adresse: Straßburger Platz, Lennéstrasse 1
Nutzung: Produktion, Montage, Exhibition Space, Büros, Restaurant, Events (Theater, Bildung, Kongresse wie z.B. High Tech Venture Days)
Webseite: www.glaesernemanufaktur.de


Das repräsentative Prestigeobjekt von Freistaat Sachsen und dem Wolfsburger VW-Konzern, die Endfertigung der Luxuskarosserie "Phaeton" gerade in den barocken Großen Garten zu verlegen, fand nicht zwingend bei allen Dresdnern ungeteilte Zustimmung. Doch am Ende ist durchaus etwas Sehenswertes für Dresden herausgekommen. Ein zukunftsstrahlendes Vorzeigewerk - glatt, sauber, gläsern, durchsichtig. Denn das war die Marketingstrategie: gerade ein futuristisches Ambiente mit dem Mythos der berühmten Barockstadt zu verbinden.


Eine perfekte Show

Auf dem quadratischen Grundstück rückt das Werk von Leenéstraße und Stübelallee durch eine zurückhaltend-kühle Gartengestaltung von der Straße ab. Die eigentliche transparente Schaumontage liegt in einem harten kubischen neunstöckigen Riegel zur Stübelallee hin (22 m x 145 m), welcher sich in völliger Verglasung und profilloser Flächigkeit präsentiert. (Den Fertigungsprozess "Manufaktur" zu nennen, also etwas Handgefertigtes, ist aufgrund der durchaus einsehbaren Automatisierung ein geschickter Werbetrick.) Man kann (wenige) Arbeiter beim arbeiten wie in einer Vitrine zuschauen. Etwas Voyeuristisches hat diese Zurschaustellung. Die demonstrativ gläserne Durchsichtigkeit soll jedoch im Betrachter eher den Erlebnischarakter in Liveübertragung veranschaulichen.

Hinten,
im rückwärtigen Teil des Werkes befinden sich Anlieferungs- und Verteilungszone der einzelnen Autoteile. Sie werden erst per Bahn und dann mit hauseigenen Straßenbahnen von mehreren Standorten Deutschlands extra hierher transportiert.

Die eigentliche Show, das kunst- und lustvolle Inszenieren des verführerischen Kaufs wird dagegen in einem eigenen Gebäudekomplex zur Leenéstraße zelebriert. Ein maßvoller, nicht zu hoher Rundturm, wiederum ganz aus Glas, stapelt die Edelkarossen regalweise - ein optischer Blickfang als Hintergrund. Vorn - hinter abgerundeten fein metallen schimmernden Baukörpern, eines auf schlanken Säulen balancierend, von einem eleganten, überkragenden Dach überragt, empfängt den potentiellen Käufer
ein kunstvoller Innenraum. Vielgestaltig, in mehrere Ebenen aufgeteilt, lässt sich aus dieser Lobby ein höchst multifunktionaler Raum formen, der bis hin zu Opernaufführungen und Musikwett-bewerben genutzt werden kann.
Die am Eingang befindlichen geschwungenen Zwischenetagen (u.a. als Restaurant genutzt) könnte man durchaus mit der vielbeschworenen festlichen Dresdner Heiterkeit in Verbindung bringen. Mehrere teilweise unterirdische Showräume lassen keine Raffinesse der Produktwerbung aus. Wirklich ein Attraktion zur Huldigung des Fetisch Automobil!


"Im überschnellen Gefährt durch die Straßen jagen ..."
(Peter Behrens 1914)

Die Einbindung dieser Eventarchitektur in das Stadtgefüge lässt durchaus auch so manchen Zweifel aufkommen, zu sehr erinnert z.B. die all zu glatte, wenig gestaltete Glasfront zur Stübelallee (Volksmund: "Aquarium") an amerikanische Stadtkonzepte, in denen "Stadt" lediglich als motorisierter Transitraum einer Millionenregion verstanden wird. Wo bleibt die europäische Stadt?
Schon Peter Behrens, Pionier der modernen Architektur, konstatierte im Aufsatz: "Einfluss von Zeit- und Raumnutzung auf moderne Formenentwicklung" im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1914 das hohe Tempo, mit dem wir uns auf Rädern durch die Stadt bewegen:

"Eine Eile hat sich unser bemächtigt, die keine Muße gewährt, sich in Einzelheiten zu vertiefen. Wenn wir im überschnellen Gefährt durch die Straßen unserer Großstädte jagen, können wir nicht mehr die Einzelheiten der Gebäude gewahren. Eben so wenig können vom Schnellzug aus Städtebilder, die wir im schnellen Vorbeifahren streifen, anders wirken als nur durch ihre Silhouette."

Ein international berühmter Autokonzern hätte intelligentere Antworten finden können, wie er in seiner Firmenarchitektur auf die von ihm geschürte Mobilität
angemessen reagiert.


Wenig Regionalbezug, aber innovativ

Darüber hinaus scheint sich die Gesamterscheinung des Autowerks mehr dem Marketingkonzept des VW-Konzerns unterzuordnen, als das sie in Farb- und Materialwahl irgendeinen Bezug zu Dresden aufnehmen würde. Einziges kurioses Zitat und Zugeständnis für Dresdner Befindlichkeiten sind die originalen Ruinensteine, beim Freilegen der Baugrube aus den Schuttresten vom alten Ausstellungs- gelände geborgen, die nun wie wertvolle antike Relikte hübsch gruppiert ins kurzgeschnittene Gras gelegt wurden. Ist's Schmuck, ist's Mahnung, sind's die Trümmer einer anderen Zeit? (Das ionische Säulenkapitell stammt von der ehem. städt. Kunsthalle, errichtet 1914-16 v. Hans Erlwein.)

Trotzdem - auch wenn sich das coole VW-Werk ästhetisch schwer in die südlich geprägte Wärme des sächsischen Elbtals einpasst - die "Gläserne Manufaktur" auf dem ehemaligen Ausstellungsgelände führt die alte Dresdner Tradition von Innovationskraft in einer ganz neuen anspruchsvollen Verbindung von Kunst und Technik fort. Eine Investition für Dresden, die sich hoffentlich gelohnt hat, eine große Signalwirkung zudem für die Zukunftsfähigkeit der Elbestadt.


High Tech Architektur

Die Gläserne Manufaktur zählt architektonisch auch zur sogenannten High Tech Architektur, also ein Hochtechnologie-Gebäude, welches die technikbasierten Funktionen demonstrativ von außen sichtbar macht. Sowohl in den beiden kubischen Glasriegeln der Produktionsstätten, die durch die Transparenz ihre innere Funktionalität offen legen, also auch der Teile des Besucherbereiches mit dem gläsernen Kundenturm ("e-Tower") wird die Industriearchitektur des 21. Jahrhunderts in ihrer technischen Innovativkraft ausgebreitet. Foto der 14-stöckigen, vollautomatisierten, runden Hochgarage auf mdr.
Allein die High-Tech-Fassade mit einer doppelten Glashülle und einem ausgeklügelten Belüftungssystem, die die Heizkosten reduzieren soll, belegt die Technikaffinität des Gebäudes.


Landschaftsarchitektur


Der VW-Konzern hat viel Wert gelegt, sein modernes Industriegebäude im barocken Garten in ein landschaftlich-gartengestalterisches Konzept einzubetten. Dem schwäbischen Büro Stötzer + Neher ist es mit zeitgenössischer Formensprache außerordentlich gut gelungen, ein grünes Umfeld um das technische Bauwerk zu gestalten. Dabei schließt ein geschwungener amorpher Teich gleich an das Gebäude an. Drei Stege führen  darüber zu einem höher gelegenen Plateau. Die Wiesen mit Bäumen und Stauden sind öffentlich zugänglich.


Foto: T.Kantschew 2024, Vergrößerung


Umbau 2016

Die Produktion des Luxus-Autos Phaeton wurde 2016 eingestellt. Darauf erfolgte im selben Jahr ein 20 Millionen Euro teurer Umbau der Manufaktur zur Endfertigung von Elektrofahrzeugen der Marke e-Golf. Zudem errichtete der VW-Konzern in dem Gebäude ein Center of Future Mobility („Zentrum künftiger Mobilität"), bei dem der Fokus jetzt mehr auf Digitalisierung sowie Forschungs- und Innovation liegen soll. 2021 startete die Serienproduktion des vollelektrischen ID.3.   Der Slogan "Home of ID" steht für intelligentes Design, Identität und visionäre Technologien.

 





Modell- "Gläserne Manufaktur"  VW-Werk aus dem Jahr 2000,
Foto: T.Kantschew 2024, Vergrößerung



VW bereitet Abschied vom Autobau in Dresden vor

Handelsblatt vom 18.09.20223
"Im kleinsten seiner Werke wird der Autohersteller Volkswagen wohl bald die Fahrzeugfertigung einstellen.
In der derzeit laufenden Runde über einen Umbau der Kernmarke VW spielt die „Gläserne Manufaktur“ in Dresden keine Rolle mehr, wie das Handelsblatt aus Konzernkreisen erfahren hat. Aufgeben wird das Unternehmen den Standort aber nicht. Es werde an alternativen Nutzungen gearbeitet.
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Die Kleinserienproduktion von jährlich einigen Tausend Modellen des Elektroautos ID.3 sei nicht sonderlich zukunftsträchtig."  
Spiegel 21.09.2023

Vergleicht man die "Gläserne Manufaktur" mit der Autostadt in Wolfsburg oder gar mit der BMW-Welt in München samt angrenzendem Werk erkennt man, wie begrenzt das Dresdner Grundstück für die Endfertigung einer Luxusmarke von Anfang an war. Die Fläche direkt am Großen Garten kann nicht weiter ausgedehnt werden und wachsen, während die Konkurrenz wie Tesla in Brandenburg mit Macht expandieren will.



Architekturbüro Henn


Gunther Henn (geb. 1947 in Dresden) ist der Sohn vom Architekten Walter Henn (1912- 2006), der in Dresden von 1934- 37 bei Wilhelm Kreis an der Akademie der Künste Architektur studiert hatte, nach 1945 die TH Dresden mit aufbaute (u.a. Auftrag der sowjetischen Mitlitäradministration zum Bebauungsplan der TU Dresden und diverse TH-Gebäude der frühen Nachkriegszeit). Ab 1952 als Gastprofessor an die TH Braunschweig und ein Jahr später 1953 Übersiedlung in die BRD. Der Nachlass von Walter Henn befindet sich in Dresden (SLUB). Gunter Henn ist 6 Jahre, als die Familie in die britische Zone wechselt.



Text: Thomas Kantschew 2004 / 2024


Gläserne Manufaktur 2004


Menschen hinter Glas: Blick ins VW-InnereApril 2005














VW-Werk Foyer mit dem Veranstaltungspodium. Foto: T.Kantschew 2024, Vergrößerung