Geschäftshaus Altmarkt
Hanseatische Kühle und Angst vor sächsischer "Gemütlichkeit"

 

Architekten: Meinhard von Gerkan (GMP Hamburg)
Städtebau: Planungsgruppe Architektenkammer Dresden + Günter Just:  Beigeordneter (Dezernent) für Stadtentwicklung Dresden 1994-2001

Bauzeit 1998- 2000  (Wettbewerb: 1996 - 1. Preis)
Adresse: Altmarkt 10   und
Seestraße / Schreibergasse / Kramergasse
Webseite:
www.gmp.de/de/projekte/586/kontorhaus-altmarkt


Nichts Verspieltes, kein Spiel


Im Gegensatz zum Hamburger Semper ist der Hamburger Gerkan nur in einen sehr zögerlichen Dialog mit Dresden und der besonderen Lebensart in dieser Region getreten. Gegen die Weichheit des Dialektes, der Landschaft und Topographie setzte der Architekt aus Dresdens Partnerstadt an der Alster bewußt eine kantige Härte und rechtwinklige Strenge.
Ja - Gerkan hat sich nicht auf Dresden eingelassen, die Mentalität der Stadt nicht thematisiert. Viel zu sehr war er darauf bedacht, seine hanseatische Kühle, seine nördliche Gezügeltheit emotionaler Äußerung als Stempel auf Dresdens Mitte aufzudrücken, als das er in einen wirklichen Dialog mit den anderen Gebäuden am Platz getreten wäre. Schließlich ist der Altmarkt der zentrale Platz und öffentliche Versammlungsort der sächsischen Haupt- und ehemaligen Residenzstadt. Jahrhundertelang war der Altmarkt, ältester Platz der Stadt, neben dem Handelsort ein Festplatz, Platz für Kommunikation, Spiel und Feiern - für die Vergnügungen des Hofes gleichermaßen wie für das loyale Bürgertum und für das gemeine Volk.
Es könnte sein, daß das Hamburger Büro solch eine Funktion für Spiel und Ausgelassenheit an diesem durch die kommunistische SED-Herrschaft vorgeprägten Platz und seiner vordergründig politisierenden Ausstrahlung nicht in Betracht zog. Zumindest kommuniziert das sehr voluminöse Gebäude diese Funktion nicht, sondern in erster Linie triste Computer Büro-Arbeit.


Beißender Spott - der Volkswitz nennt es "Legohaus"

Das Hamburger Büro GMP hat die Aufgabe, dem unvollendeten Hauptplatz in der Dresdner Altstadt eine neue Identität zu verschaffen, in der sich Dresden wieder erkennen und finden kann, nicht verstanden. Das Gebäude korrespondiert nicht mit den weichen Rundungen des klassischen Arkadengangs an der westlichen Altmarktseite, sondern antwortet mit außerordentlich harten rechten Winkeln. Viel zu hoch greifen die wuchtigen Pfeiler der schmalen Arkade in der Seestraße. Sie vermittelt anstatt Geborgenheit und Wärme dem hastenden konsumierenden Passanten eher zugige Unbehaustheit.

Sogar die wenigen Vorgaben einer kommunalen Gestaltungsvereinbarung für den Altmarkt wurden in Form eines getreppten Dachs (im Volksmund: "Legohaus")
distanziert-ironisch kommentiert (Material: Keramik - ArGeTon-Steine). Nein, dieses wenig mit Dresden kommunizierende Haus wird von den Bürgern und Bürgerinnen der südlich geprägten Elbestadt
mit verständlicher Befremdung und Zurückhaltung aufgenommen.

Sicher, es gibt einige Elemente, die Bezüge zum traditionellen Dresdner Bürgerhaus aufnehmen: da sind die hochstehenden Fensterformate, da ist das typische Ziegelrot des Daches und die Dachgauben.
Da ist zudem eine Reminiszenz an die für Dresden signifikanten kastenartigen Erker - aber warum müssen sie gänzlich aus glatten, profilosen Glasflächen bestehen?
Da gibt es Andeutungen von (schmückenden?) profilierten dünnen Stäben über und unter den Fenstern, die der vorgehängten Fassade aus dünnen Sandsteinplatten neben den Simsen ein wenig Gliederung verschaffen wollen. Licht und Schatten können an der ansonsten aalglatten Fassade ein wenig spielen und sie damit etwas lebendiger gestalten.


Sehr deutsch, sehr streng und gar nicht entspannt


Doch der kurze Eindruck von Lebendigkeit, Dresdner Temperament und Lebensfreude wird so völlig ausgelöscht, betritt man voll staunender Neugier den Innenhof durch ein gefängnisartiges Eingangstor (was für eine Fortführung der reichen Tradition Dresdner Eisenschmiedekunst!). Dieser triste Hof in einer unsinnlichen, für Dresden unpassenden krassen Schwarz-Weiß Farbgestaltung ist dann tatsächlich der Gipfel an Trostlosigkeit. Was hätte man für eine raffinierte Passage, die zum städtisch-urbanen Flanieren einladen würde, schaffen können! Aber auch das ist ein Versagen des Bauherrn: der Allianz Versicherungs-AG, die möglichst viele Verkaufsflächen schaffen wollten, um einen Maximalbetrag aus der Immobilie heraus zu pressen. 2012 wurden sogar zusätzliche große Dachgauben in das Dach eingebaut, um diese letzte Büroetage besser vermieten zu können.

Nicht nachvollziehbar war die Entscheidung der Jury zum Wettbewerb, welche die ehemals vier Parzellen zum Altmarkt hin zu einem ganzen Block für Investorenfreiheiten zusammenfasste, anstatt Vielfalt, Abwechslung und Belebung des städtischen Raumes durch strengere Auflagen einer optisch Unterteilung der langen Fassadenflächen einzufordern. Andere Architekten des Wettbewerbes bewiesen mit ihren Arbeiten, daß eine Unterteilung des Blocks sehr wohl möglich gewesen wäre. Die noch Mitte der 90er Jahre angestrebte Kleinteiligkeit ist mit diesem Ergebnis ad absurdum geführt worden.


Wettbewerb: Altmarkt Südseite 1996, Entwurf: Walter Köckeritz


Situation Altmarkt Südseite 1935


Die Stadt Leipzig zeigte ein paar Jahre später mit der
2004 eröffneten neuen Markgalerie am Alten Markt von Christoph  Mäckler, wie man einen großen Gebäudekomplex optisch geschickt in mehrere Einzelhäuser funktional gut gliedern kann.

Einen kleinen Reiz stellt allerdings beim Dresdner Altmarktkomplex von GMP, obwohl aus der Fußgänger-perspektive kaum wahrnehmbar, die Verschiebung der Baufluchten im oberen Bereich des Gebäudekomplexes in der Kramergasse dar.


Erhaltung der Keller, aber nicht mehr sichtbar

Die bei archäologischen Grabungen unter dem Grundstück ausgegrabenen Barockkeller wurden in den Neubau dieses Geschäftshauses integriert. Allerdings sind sie seit Jahren weder zugänglich noch sichtbar. Große dicke Glasscheiben gaben anfangs Einblicke in diese erhaltenen Originalkeller zum Altmarkt und zur Schreibergasse hin. Nachdem aber bei Nässe mehrere Personen auf den glatten Scheiben stürzten, wurden diese mit einer Asphaltdecke übergossen.
Ebenso sind einige einbezogene historische Keller im Untergeschoss des Restaurants für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. 


Leon Batista Alberti Preis

Das für seine gläsern modernen Bahnhofs- und Messehallen berühmte Architektenteam GMP (Gerkan/ Marg/ Partner) erhielt für das "Office Building" Dresden Altmarkt 2000 den Leon Batista Alberti Preis, welcher dem maßgeblichen Architekturtheoretiker der Frührenaissance gewidmet ist.

 

Altmarkt-Wettbewerb 1991 (1. Stufe)

Ausgangspunkt dieses sehr frühen Wettbewerbes nach der Einheit 1990 war der Gedanken, den riesigen Platz des Altmarktes wieder eine südliche Fassung zu geben. Man einigte sich auf die ungefähre alte Grundstücksgrenze in Höhe der Kreuzstraße, nicht auf Höhe des "Cafe Prag".


2. Preis. Verfasser: von Gerkan, Hamburg - Lageplan

Meinhard von Gerkan bot bei dem Altmarkt-Wettbewerb 1991 ein glasüberdachtes Passagensystem an mit einem abgrenzenden Riegel und Bäumen zur Wilsdruffer Straße. Für seine Interpretation des Areals erhielt Gerkan einen 2. Preis. Aber auch der Entwurf des Erstplazierten SEP wurden nicht gebaut. Nach langen Debatten in der Stadtgesellschaft mit starker Sehnsucht nach Blockrandbebauung und "europäischer Stadt" entwickelte schließlich die Dresdner Architektenkammer das Konzept einer Annäherung an den alten Stadtgrundriss. Das bedeutete eine Verkleinerung der Altmarkt-Platzgröße von 20 000 qm auf 13 000 qm (ohne Kulturpalast-Vorplatz).


Modell Wettbewerb Altmarkt 1991: von Gerkan
Der Architekt schlug damals gleich nach der politischen "Wende" eine komplette Sichtblende zum Kulturpalast vor mit einer neuen Baumreihe am nördlichen Altmarkt.
Jahre später wurde 2013 von selben Architekten Gerkan bei der Sanierung des Kulturpalastes weder eine Verbauung noch eine Abriegelung zum Platz gebaut, sondern eine denkmalgerechte Instandsetzung.

 

Innenhof im Geschäftshaus am Altmarkt vom Architekt Gerkan
Innenhof, Foto: Thomas Kantschew 2004, Vergrößerung
 
Blick von der Kreuzkirche, April 2005
Fotos oben: Thomas Kantschew, Vergrößerung


Einbezogene historische Keller und  Stahlbetonstützen + Untergeschosse des neuen Quartierblocks am Altmarkt: Foto: Thomas Kantschew 1998

Schreibergasse mit Geschäftshaus am Altmarkt Rückseite- Kreuzung mit Kramergasse
Die vergrößerte Schreibergasse mit Blick nach Norden zum Altmarkt (links hinten: Geschäftshaus Altmarkt von GMP), Foto: 2023 Thomas Kantschew, Vergrößerung
Die städtisch öffentlichen Räume werden hier viel zu wenig genutzt.

Umgesetzt wurde mit den sieben neuen Blockquartieren eine Lösung, die vage an den Vorkriegszustand erinnert mit den historischen Wegen: Schreibergasse, Pfarrgasse und An der Mauer (die Kramergasse ist eine neu geschaffene Gasse).
Von wirklich europäischer Vielfalt und Mischung ist aber wenig zu spüren. Im öffentlichen Raum werden die neu entstandenen Fußgängerbereiche so gut wie nicht genutzt. Eine bisher verschenkte Gelegenheit, Urbanität im Stadtkern zu erzeugen!

Geschäftshaus Altmarkt ohne städtisches Leben auf der Rückseite, Foto: 2023 Thomas Kantschew, Vergrößerung

Stadtmodell Dresden mit Ausschnitt der von 1998 bis 2022  errichteten Altmarkt-Süd-.Areale. Foto: Oktober 2023 Thomas Kantschew, Vergrößerung



Literatur:

West-östlicher Architekturworkshop Dresden
13.-20.Juli 1990. Hrsg.: Meinhard von Gerkan, Hamburg 1990


Text: Thomas Kantschew 2004 / 2023

Quartiere Altmarkt Süd-bis zum Ring im Vergleich , Vergrößerung
Plan: Archäologie Sachsen in der Dokumentation zu den Ausgrabungen auf den Altmarkt 2007-08. Blau: Geschäftshaus Altmarkt, Rot: Gesamtes Areal der Neubauten im südlichen Altmarktbereich. Kennzeichnungen  T.Kantschew