Webergasse Nachkriegsbebauung
Sozialistisches Einkaufszentrum - Niedrige Flachbauten in Licht, Luft und Sonne

 

Architekten: Wolfgang Hänsch, G. Dettmar, W. Wunderwald
Kinderkaufhaus
: W. Hänsel, Gerd Dettmar
Bauzeit: ___1958- 62 / Abriss: 1999
Adresse:
.__ Webergasse


Einkaufszentrum als offene Fußgängerzone und ruhige Innenstadtpassage
- mit verschiedenen Dienstleistungs- und Serviceeinrichtungen sowie einem Restaurantkomplex als Großgaststätte mit Dachrestaurant. Angesiedelt im Großen Innenhof der rückwärtigen Altmarktbebauung bzw. umgrenzt vom Dr. Külz-Ring, Wallstraße und Wilsdruffer Straße.

Städtebaulich bedeutete diese autofreie Zone eine Abkehr von der bis dahin üblichen Geschäftsstraße, wie Hänsch sie ein Jahr zuvor noch mit der Dresdner Borsbergstraße neu zu interpretieren suchte. Der Vorteil: ein Stück ungestörte, ruhige Urbanität. Der Nachteil: Isolation im öffentlichen Stadtraum durch das Quetschen in den Hinterhof und Abschneiden vom übrigen Stadtgefüge. In den frühen 50er Jahren hatte man wohl einen triumphbogenartigen Zugang in die Webergasse offengehalten, aber den Straßenraum durch eine komplette Überbauung der Einmündung in die historisch bedeutende Webergasse (seit 1369) am Altmarkt abgeriegelt.

Bescheidenheit statt Pathos

Die Architektur löste die "Nationale Tradition" ab und wandte sich der internationalen Moderne zu. Eines der frühesten Beispiele in Dresden. Klare Flächen, Transparenz mit erhöhtem Einsatz von Glas und geschwungene Eleganz in Form einer Terrassentreppe - das sind die Charakteristika dieser historischen Anlage.
Die zweistöckige Ladenpassage war im Erdgeschoss mit einfachen Läden des täglichen Bedarfs und im 1 OG teilweise mit Dienstleistungen und Büronutzung geplant.
Während die 5 Jahre vorher gebauten Gebäude am Altmarkt noch mit einem heroischen Arbeiterpathos auftrumpfen, die historische Traufhöhe um einiges überragend, überraschte die niedrige Höhe und fast kleinstädtisch anmutende Intimität der Nachkriegswebergasse, die sich völlig vom Grundriss mittelalterlichen Vorlage verabschiedet hatte.
Die beiden anderen Gassen Scheffel- und Zahngasse sowie die Breite Straße wurden für grüne Innenhöfe aufgegeben.

Der öffentliche "Straßen"-Raum, geführt als Fußgänger-bereich in rechtwinkliger Zick-Zack-Form, war mit Pergola-Wandelgängen, Glasvitrinen, Bänken und Pflanzbeeten aufgelockert gestaltet. Selbst die Telefonzellen stachen in gläserner Transparenz vom sonstigen Einheitsmodell wohltuend ab. So erinnerte dieser großzügige Freiraum an
skandinavische Leichtigkeit jener Zeit.


Foto: Stadtplanungsamt Dresden 1960er Jahre


Kunst im öffentlichen Raum

Die Bronzeskulptur "Traubenesser" von Erich Otto aus dem Jahre 1965 wurde nach dem Bau der Altmarkt-Galerie an einem anderen Standort 2003 neu augestellt (siehe Foto unten). Mit dem Bau der Altmarkt-Galerie-Erweiterung wurde die Skulptur komplett entfernt u. außerhalb der Innenstadt neu aufgestellt.


Lageplan Webergasse - 1: 2000


I bis III       Wohnbauten mit zweigeschossigen Läden, 1954
                bis 57 (zum Altmarkt zu)
IV -           Wohnbauten mit Läden im Erdgeschoss 1958
                (zum Ring hin)
V  -           Ladenbauten erdgeschossig (Webergasse)
VI bis VII - Lebensmittelläden mit Büroräumen im
                Obergeschoss
VIII -          Läden mit Reparaturwerkstätten (Radio,
                Schneider usw.)
IX -
           Bürogebäude
X -
            Volkstümliche Groß-Gaststätte
XI -
           Wohnbauten
                zwei zentrale Waschanlagen

(Vergrößerung)

Parkartig grüne Höfe + Anlieferung

Hinter der neuen Webergassenarchitektur wurden
d
ie Blockinnenhöfe gärtnerisch mit lockeren Baumgruppen, Wiesen und Spielplätzen gestaltet. Diese Grünplanung griff Forderungen nach guter Luft, nach Licht und Sonne in der dicht besiedelten City aus den 1920/ 30er Jahre wieder auf.

Die Warenanlieferung erfolgte auf der Rückseite der Läden durch schmalen Binnenstraßen in den zwei Höfen. Zudem gab es ein Waschhaus, Wäschetrockenplätze und technisch bedingte Bauwerke (Heizung etc).


Modell Einkaufszentrum Webergasse. Modellbau Anja Schoenenburg 2003, Vergrößerung. Teil der Ausstellung von 2004:  "Zwei deutschen Architekturen. 1949- 1989. (Das Holzmodell wurde aus Platzgründen nicht in seinem gesamten Ensemble ausgeformt.). Foto: TK 2021



Bewußte Zerstörung nach 1989

Nach der Wende konnte die bescheidene Webergasse dem gestiegenen Verwertungsdruck der teuren Innnestadtlage nicht mehr standhalten. 1999 wurden die Gebäude komplett (außer dem ehemaligem Kinderkaufhaus) abgerissen. Dafür errichtete der ECE-Konzern die Altmarkt-Galerie, ein Shoppingcenter mit Metropolencharakter. Mit der Galerie-Erweiterung 2010 wurde eine maximale Hofüberbauung in größtmöglicher Dichte umgesetzt - das genaue Gegenteil der luftigen und grünen Innenhofbebauung der Webergasse von 1962.

Viel gravierender allerdings für den Abriss wirkte das 1991 aufgestellte Planungsleitbild Innenstadt des Dresdner Stadtplanungsamtes, welches für dieses Gebiet bereits zwei Jahre nach Zusammenbruch der DDR einen Komplettabriss der neuen Webergasse vorsah. Die qualitätsvolle Nachkriegsmoderne wurde von Jörn Walter (1991 - 1999 Leiter des Stadtplanungsamtes) zugunsten der historistischen Wiederherstellung einer mittelalterlichen Stadtstruktur mit hoch verdichteter Blockrandbebauung und engen Gassen geopfert
(im Plan rot gekennzeichnet).
Die Ausführung mit der Altmarkt-Galerie (Teil 1 2000) und der Erweiterung 2010) geriet jedoch mit den kommerziell genutzen, innen gelegenen Shopping-"Straßen" ganz anders als die angestrebten öffentlichen Außenräume.


Ausschnitt aus dem Planungsleitbild Innenstadt 1991 für die Innenstadt



Webergasse - noch ohne dem Kinderkaufhaus - errichtet 1959Aufgang zur Terrasse der Großgaststätte 1964Sondermodell: gläserne Telefonzelle im Pergolagang. Diese Doppel-Fernsprechzelle (die zweite stand rechts im Bild) bestach durch außergewöhnliches Design. Foto: Dt. Fotothek 1975 (Ausschnitt)

Grüne Innenhöfe im Webergassenviertel vor dem Abriss
Webergassenviertel 1999 - die grünen Wiesen sind gerade zerstört worden. Foto: http://stadtplan.dresden.de/

Die alte Webergasse vor 1945

war eng und dennoch eine der beliebtesten und frequentiertesten Kaufstraßen in der Altstadt. Besonders anziehend war die Gaststätte "Bärenschänke" mit der Innenausstattung von Oswin Hempel (dem Architekten der Apostelkirche in Trachau). Obwohl bestimmte Fassadenteile nach 1945 noch standen wurden sie - wie viele andere teilwiederaufbaufähige Geäbude (1951) gesprengt.
(Foto: Eingang Bärenschänke nach 1945)



 

Planung Webergasse

1953 gestand man beim Neubau der Altmarkt-Westseite eine repräsentative Öffnung des Riesenblocks zur alten Webergasse zu. So war ein Anknüpfen an die historische Webergasse an etwa gleicher Stelle vorgesehen. Ursprünglich war auch eine Öffnung an der Nordseite des Hofes zur Ernst-Thälmann-Straße vorgesehen, die im weiteren Planungsverlauf dann nicht weiter verfolgt wurde.
Verschiedene Pläne zur Bebauung in den 1950er Jahren mit repräsentativer Bebauung (u.a. mit einem großen Kino) mündeten schließlich in die reduzierte niedrige Hofbebauung.
Dies bedeutete im Wesentlichen ein Wiederaufnehmen der stadthygienischen Vorstellungen aus den 1930er Jahren unter Paul Wolf, der die dicht bebauten Hinterhöfe in den Quartiersblöcken "entkernen" und in Gärten umwandeln
wollte.
Während am Altmarkt repräsentative zweistöckige Läden mit Mode, Büchern/Schallplatten, Schmuck etc. für die Gesamtstadt und Besucher errichtet wurden, sollten Lebensmittel für die Bewohner des Altmarktviertels in der neu modifizierten Webergasse angeboten werden.



Planung öffentlicher Raum im Hofbereich Altmarkt/ Ernst-Thälmannstr. August 1952. Gesamt: Skizze zum Teilbebauungsplan des Zentrums von Dresden, Rat des Stadtkreises Dresden, Dezernat Aufbau,
Abteilung Stadtplanung vom 26. August 1952



Planung Webergassenviertel (noch mit großem Kino an der Ernst-Thälmann-Straße), Foto: Dt. Fotothek 1955, Vergrößerung

  Kaufhalle

Die neue Webergasse war ein Unikat, ganz auf die Bedürfnisse der Dresdner Innenstadt zugeschnitten.  Interessant ist, dass mit der modernen "HO-Kaufhalle" innerhalb der neuen Webergasse erste Versuche gestartet wurden, den Verkauf von Waren des täglichen Bedarfs in einem zentralen Gebäude zu bündeln (+ separate Läden für Backwaren, Fleisch und Fisch). Später wurde daraus ein größerer standardisierter Typenbau, die ESK "Einheitsserie Kaufhalle" in Metallleichtbauweise, wo die Abläufe der Anlieferung und Entsorgung in einem einstöckigen freistehenden Gebäude zentralisiert wurden. (In Dresden z.B. in Johannstadt Nord 1975)
In diesem Modernisierungsprozess wurden die Grundlagen der Logistik von dem Berliner "Rationalisierungs-und Forschungszentrum Einzelhandel" in vielen Einzelaspekten wissenschaftlich untersucht. Siehe:
Dokumentation ESK. Hrsg.: Rationalisierungs-und Forschungszentrum Einzelhandel (HO) und Verband der Konsumgenossenschaften. Büro für Rationalisierung, 31.07.1975. Text: www.bbr-server.de (PDF)


 







Kaufhallen Typenbau ESK 1975, Vergrößerung - Quelle: Dokumentation ESK

Ostfassade des Kinderkaufhauses (Foto: Prof. Dirk Radig ca. 1965)

Bronzeskulptur "Traubenesser" von Erich Otto aus dem Jahre 1962, 2010 wird die Skulptur vorm Vereinshaus „Aktives Leben“ in der Dürerstraße 89 aufgestellt, da angeblich kein Platz für sie an der neuen Altmarktgalerie wäre. Foto: TK 2005