Verlagshaus der Sächsischen Zeitung - ehemals "Haus der Presse"
Die zweite Moderne hält Einzug in Dresden.

 
Architekt: Wolfgang Hänsch
Bauzeit: 1960- 61
Kunst am Bau: Johannes Peschel (Block aus Zement, 1975)
Rudolf Sitte (Betonrelief im Hof, 1966)
Sanierung: Martin Seelinger 2003
Infos dazu: www.cornelsen-selinger.com
Adresse: Ostra-Allee 20 (früher: Julian-Grimau-Allee)




Eröffnet im Jahr des Mauerbaus 1961

Das "Haus der Presse" ist (bzw. war) eigentlich ein ganzer Gebäudekomplex - bestehend aus dem markanten 13-geschossigen Redaktionshochhaus in Fertigplattenbau, den daran anschließenden Flachtrakten, der (mittlerweile abgerissenen) Druckerei im hinteren Teil der Anlage und dem Vorplatz mit Brunnenanlage und Politplastik. Dieses (nicht mehr vorhandene) Zementkunstwerk stellte die Vereinigung der beiden deutschen Arbeiterparteien KPD und SPD in Sachsen dar. Jene manipulative Politplastik, die die Zwangsvereinigung der getrennten deutschen Arbeiterparteien von 1946 unverschämt beschönigt, wurde bald nach 1989 entfernt.

Das "Haus der Presse" genannte Ensemble markiert einen klaren Wendepunkt in der DDR-Architekturpolitik für Dresden. Während noch wenige Jahre zuvor dem Leitbild der "Nationalen Bautradition" entsprochen wurde, nahm man mit diesem Verlagsneubau Abschied von einer national gedeuteten Architektur und orientierte sich stattdessen nach den Prinzipien der Architektur des Internationalen Stils.



Flagge - seit 1959 mit Emblem: die DDR-Nation baut international


Kein einig deutsches Vaterland mehr, sondern D.D.R.


Der Druckerei- und Verlagskomplex, bereits 1958 konzipiert, setzte den bereits begonnenen Trend zur ausgestellten Versachlichung fort. Ein Festhalten an (vermeintlich) nationale deutsche Architekturtraditionen, wie noch Anfang der 50er Jahre propagiert, wurde damit aufgegeben.
Jene Hinwendung von der so bezeichneten "nationalen" zur funktionalistischen Architektur entsprang weniger eines ideologischen
Kompromisses, als viel mehr einer klaren Entscheidung zum Abschied eines vereinten Deutschlands - durch die Zäsur des betonierten Teilungszustandes in zwei getrennte Staaten.
Zudem kamen natürlich ökonomische Notwendigkeiten. Die industrialisierte Bauweise konnte viel schneller und effizienter als eine handwerklich geprägte Ziegelbauweise Ergebnisse erzielen.


International Style


Nur zum Vergleich: das Westberliner Hansaviertel zur IBA 1957 ist von eben jenem International Style einer globalisierten und entregionalisierten Moderne geprägt. Ebenso das 1963- 65 errichtete Berliner Europa-Center. Damals empfand man diesen Stil als klaren Fortschritt, der keinerlei vermittelnden Anschluß an die historische Stadt suchte. Jene verstuckte "alte Stadt" assoziierte man eher als Ursache für die Katastrophe des deutschen Faschismus. Ganz im Gegenteil wollte sich damals das CDU/CSU-geführte Westdeutschland bewußt durch neue städtebauliche und architektonische Lösungen von der schrecklichen Vergangenheit abgrenzen. Ähnliche Bemühungen von solcher architektonischer Vergangenheits"bewältigung" (unter Ausblendung persönlicher Schuld) versuchte man dann, auch auf vielfältig subtilen Druck der Adenauer-BRD, im betont sozialistischen Teil Deutschlands (DDR).

So kann man das Dresdner "Haus der Presse" in seiner Gesamtanlage als einen Affront zur bestehenden Stadtstruktur der Ostraallee und aller hier vorhanden historischen Bezüge interpretieren. (Die Permoser- und die Pöppelmannstraße wurden durch den SZ-Neubau komplett überbaut). Man kann ihn allerdings auch einen Aufbruch zu etwas völlig Neuem bezeichnen.

Das weit zurückgesetzte, schroff-kubische Hochhaus nimmt keine Rücksicht auf die vorhandene Traufhöhe der Gründerzeitbebauung, auch nicht auf jenes Bürohaus des ehem. VEB Wasserwirtschaft (jetzt mit gelben Dachziegeln) von 1958- 60 von Peter Kluge und K.H. Brade gegenüber.


VEB Wasserwirtschaft

Historisch gewachsene, bürgerliche Städtebautraditionen mit klassischer Blockrandbebauung wurde zugunsten eines offenen Ensembles in orthogonaler Aufteilung, durchzogen von großzügigen grünen Freiräumen aufgegeben. Der Baukörper stand jetzt für sich und brauchte nicht mehr mit seiner Umgebung zu korrespondieren bzw. den Dialog zu suchen. Er bildete eine eigene Spannung von hohen vertikalen und niedrigen waagerechten Teilen. Allerdings hatte bereits das Ensemble der VEB Wasserwirtschaft, ein Jahr früher fertiggestellt, das Konzept der kompakten europäischen traditionellen Stadt aufgegeben- zugunsten eines weit zurück gesetzten differenzierten Baukörpers mit einem flachen Speisesaal in moderner Form.

"Dresden schöner denn je"

Dieses Kompromisslose der Zeit bestätigt sich in dem wertschätzenden Preis für das "beste Bauwerk der Stadt Dresden", welchen der SZ-Komplex
an der Julian-Grimau-Allee (heute Ostra-Allee) 1966 erhielt.

Während allerdings die neue Prager Straße, ein paar Jahre später errichtet, durchaus eine differenzierte Freiraumgestaltung erfuhr, blieb das "Haus der Presse" trotz der Brunnenfläche und der Politplastik für die Dresdner Öffentlichkeit als zu nutzender städtischer Raum uninteressant.

Dennoch: das jetzige SZ-Verlagshochhaus bildet ein Stück geformte Stadtsilhouette, die mittlerweile ein Teil der Dresdner Architekturgeschichte ist.


Dekor, Mission und Konstruktion


Besonders nach der aufwändigen Sanierung 2003 mit einer neuen kupfergrünen Glasverkleidung, deren Schmuck lose Folgen von Typographien bilden, gewinnt der Komplex an Ausstrahlung (die Scheiben sind im klassischen Siebdruck hergestellt worden). Selinger:  "Das Glas ist mit Schriftzeichen bedruckt, die durch Überlappung, Spiegelung und Verzerrung verfremdet sind. Als Inspirationsquelle dienten Texte aus ‚Vogelflüge – Essays zu Natur und Kultur‘ von Vilém Flusser. Das zentrale Thema des tschechoslowakischen Medienphilosophen und Kommunikationswissenschaftlers war der Untergang der Schriftkultur.
Die Energiekosten sind im Vergleich zum vorherigen Zustand auf unter 15 % reduziert worden, im Hochsommer liegen die Büroraumtemperaturen nicht über 26 °C.
"

Die Druckerei ist komplett in ein neues Druckhaus in den Dresdner Norden gezogen und deren Gebäude wurde 2005 für Parkplätze und eine Grünfläche abgerissen.

Der ursprüngliche Architekt des DDR- Pressehauses - Wolfgang Hänsch distanzierte sich jedoch von der Sanierung durch Martin Seelinger ("typographische Überschwemmung", "Verpackungsarchitektur"). Für seine Generation scheint eine Rückkehr zu inhaltsbezogenen und zugleich schmückenden Elementen an modernen Fassaden eine sehr irritierende Herausforderung zu bedeuten, die die bisher gelehrten Grundprinzipien einer Überbetonung des Konstruktiven in Frage stellt.

Die einstigen an der Fassade des Hochhauses befestigten Buchstaben "Haus der Presse" wurden als nostalgischer Rückblick eines Neonröhren-Zeitalters hinter Glasvitrinen direkt an die Straße gesetzt.

DDR-Hochhäuser

Neben dem SZ-Hochhaus wurde etwas eher mit dem Hochhaus in Dresden Reick begonnen für den VEB Schokopack. Es wurde jedoch dann erst 1963 vollendet. Der Bau steht unter Denkmalschutz. Nach langem Leerstand konnte es vorbildlich mit großem Aufwand 2018/19 für die Software-Firma „Itelligence“ saniert werden.

 

"Haus der Presse" vor der Sanierung - Anfang 2003
"Haus der Presse" vor der Sanierung, mit Buchstaben-Werbung- Foto: 2003 TK

Das SZ-Verlangshaus - nach dem Umbau - Ende 2003

das "P" des Schriftzuges "Haus der Presse" - jetzt in einer Glasvitrine direkt an der Straße aufgestellt.
Rudolf Sitte: "Der Produktionsprozess. Zeitungsdruck" 30 x 18 m, Betonrelief im Hof des SZ-Gebäudes, 1966 (Ausschnitt)




Zum Vergleich: bereits 1957 wurde mit diesem 12-geschossigen Hochhaus in Dresden Reick begonnen: Es gehörte zur ehemaligen Industrieanlange VEB Schokopack, 1957 - 63 von J. Junghans. 2008 wurde es unter Denkmalschutz gestellt.


Das selbe Gebäude von der Westseite nach der Sanierung. Foto: T.Kantschew, August 2020, Vergrößerung


  Druckerei "Sächsische Zeitung" - Modell ohne Kontext
In: Deutsche Architektur 11/1962, S.670-674, von W.Hänsch




Fortschritt,    fortschrittlicher,     am fortgeschrittensten

Sächsische Zeitung - Organ der Bezirksleitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Sonderausgabe vom 04. Juli 1969,
"Dresden schöner denn je"

Auf dem Höhepunkt einer internationalen Zukunftseuphorie verloren auch Dresdner SED-Politiker und die Genossen Stadtplaner jedes Gefühl für Proportion und Maß:
In dieser Sonderausgabe wurden die umfassenden Umgestaltungspläne für das sozialistische Dresdner Stadtzentrum der Dresdner Öffentlichkeit vorgestellt. Eine Vielzahl wesentlich höherer Hochthäuser war für die Innenstadt vorgesehen, so z.B. eine Wohnhausgruppe an der Stelle des jetzigen ICCD, welche doppelt so hoch wie das SZ-Hochhaus gewesen wäre und die Elb-Silhouette mit einer rücksichtslosen Hybris dominiert hätte.
Das Schauspielhaus wäre im Äußeren "kompromisslos" modern umgebaut worden. Eine Menge Modellfotos verschaffen einen krassen Eindruck dieser hyper-modernistischen Planungen, die, wenn sie je umgesetzt wären, den Charakter Dresdens völlig verändert hätten.
(mit einem Vorwort von Genosse Werner Krolikowski (Mitglied des ZK der SED und 1. Sekretär der Bezirksleitung Dresden im Rechenschaftsbericht an die IX. Bezirksdelegiertenkonferenz der SED)

 

Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt


Hochkonjunktur, Wachstumsoptimismus und Modernitäts-Wahnsinn: "Modell einer sozialistischen Großstadt" 1969 (rechts im Bild: überdimensionierte Hochhäuser und Schnellstraße direkt an der Elbe, vorn Albertplatz) - Vergrößerung, Quelle. Sächsische Zeitung -  Sonderausgabe vom 04.07.1969
Dresdens Stadtbaurat Kurt W. Leucht (1948- 1950 und 1966 bis 1969) wird von Ulbricht in dieser Funktion abgesetzt, weil Leucht sich weigerte, direkt an der Elbe Hochhäuser zu errichten.


Neue Kunst am Bau: farbig bearbeiteter Fotowandfries 2002 in der Mensa des SZ-Komplexes (Ausschnitt)