Neue Synagoge
Schalom Dresden: ein modernes jüdisches Gotteshaus am Rande der Altstadt - doch mitten unter uns.

 
Architekten: Wandel, Lorch und Hirsch (Saarbrücken)
Bauzeit: 1998 - 2001
Adresse: Am Hasenberg / Rathenauplatz
Bauherr:   Jüdische Gemeinde Dresden
Wettbewerb:   1997

Am Jahrestag der Zerstörung der alten Synagoge Dresdens, dem 9. November, wurde 2001 - nach mehr als 60 Jahren - die neue Synagoge eingeweiht. Die dritten Preisträger des 1997 international ausgelobten Architektenwettbewerbs, das Architekturbüro Wandel, Hoefer, Lorch und Hirsch aus Saarbrücken, wurden mit der Realisierung beauftragt. Sie knüpften an dem selben Ort an, an dem 1833 Gottfried Semper die erste Synagoge errichtet hatte: am Ende der Brühlschen Terrassen.

Auszeichnung: Beste Europäische Architektur 2002

Neben der Mediathek in Lyon von Perrault wurde die Synagoge von Wandel Hoefer Lorch+Hirsch als beste europäische Architektur 2002 ausgezeichnet.
www.world-architecture.com


Baukörper:
Ein Sakralbau mit in sich nach Osten gedrehten Kubus - die Gebetsrichtung nach Jerusalem. Die gewählte Würfelform orientiert sich an den ersten Tempeln der Israeliten, knüpft so an ursprüngliche Rituale und traditionelle Symbole an. Allerdings nimmt die strenge Reduktion der Form auch ganz konkreten Bezug zum Vorgängerbau Sempers. Dessen 1840 fertig gestellte Synagoge mit einem quadratischen Grundriss von 20 x 20 Meter baute ebenfalls auf eine im Prinzip strenge kubische Grundform auf (Grundriss siehe unten).

Die neue Synagoge ist ein Ort der Andacht und des Gebets.
Auf Fenster wurde verzichtet, da sie die monumentale Wirkung der Wandflächen zerstören würden, vielleicht auch um nicht ein zweites Mal Glasscheiben klirren zu hören.

Die 34 Schichten aus Formsteinmauerwerk des 24 Meter hohen Gotteshauses drehen sich schraubenförmig nach oben bis sie die exakte Ausrichtung nach Osten erreicht haben. Deren Reiz liegt gerade in jener eleganten Drehung und der feinen Stufung der Quaderblöcke. Nichts Verspieltes, Dekorierendes findet man an diesem ernsten, konzentrierten Bau, der ganz der inneren Sammlung dient. Der kraftvolle, unerschütterliche Gesamteindruck der Synagoge hat auch keinen weiteren Schmuck oder andere Zeichen nötig. Wie ein Bollwerk steht der blockhafte Bau an den vorbeirauschenden Verkehrsströmen und setzt auf Entschleunigung, Besinnung und introvertierte, in sich gekehrte Meditation. Architektur gegen die Hast.
Die provokante äußere Glätte der monochromen profilosen Fassade entspricht ganz dem heutigen architektonischen Zeitgeist - stört aber in diesem Fall weniger, da die Kommunikation nachvollziehbar ganz nach innen gerichtet ist.

Material:
massiver Formstein mit Sandsteincharakter, analog der Klagemauer Jerusalem. Montage des original erhaltenen Davidsterns über dem Eingangsportal des Gebetshauses

Eingangsbereich:
Das Eingangstor ist eine zweiflüglige Holztür von 2,2 Meter Breite und 5,5 Meter Höhe. Der vergoldete Davidstern, das einzige gerettete Originalstück der Sempersynagoge, wurde direkt über den Türflügeln angebracht. Der Dresdner Feuerwehrmann Alfred Neugebauer rettete ihn nach der Progromnacht. Über dem Tor steht außerdem in goldenen hebräischen Lettern die Inschrift der alten Sempersynagoge: "Mein Haus sei ein Haus der Andacht allen Völkern".


Kontrast aus Dauerhaftem und Provisorischem

Innenraum
Alle erforderlichen Elemente eines jüdischen Gottesdienstes finden sich in der neuen Synagoge wieder. Der Thoraschrein (die Thora sind die fünf Bücher Moses, die in einem Schrein am Ostende der Synagoge aufbewahrt werden), das Lesepult, das ewige Licht, sowie natürlich Sitzreihen und Empore, alles umschlossen von einem symbolischen Stiftszelt (diente Moses zur Andacht und zum Schutz) aus Metallgeflecht. Gerade dieser festliche, golden flirrende Vorhang, der die betende Gemeinde wie ein schützendes Tuch umschließt, birgt eine wunderschön lyrische Poesie.
Er symbolisiert zudem das Flexible, Aufbrechende des Judentums, während der steinerne Tempel an sich das ewig Währende, Unauslöschliche des jüdischen Glaubens zum Ausdruck bringt.
Tempel- und Zeltmotive also als architektonische Grunderfahrung des Judentums.

Gemeindezentrum:
Verlässt man das Gotteshaus gelangt man über den baumbestandenen Innenhof zum Gemeindehaus. Dieser 1400 qm große 3-geschossige Funktionalbau mit Foyer dient als Mehrzweckgebäude für die Jüdische Gemeinde Dresden und als Haus der Begegnung mit dem Judentum.
Im Gemeindesaal finden Veranstaltungen und Konzerte für ca. 300 Gäste statt. 39 Fenster schaffen eine helle, freundliche Atmosphäre. Eine Bibliothek, Verwaltungsräume, ein Sitzungszimmer und Schulungsräume sowie das Arbeitszimmer des Rabbiners sind in den zwei Obergeschossen untergebracht. Die Gemeinderäume sind durch die zum Hof geöffnete Glasfront von Nordlicht durchflutet.

Hof:
Fast der gesamte Grundriss der ehemaligen, nach Osten ausgerichteten Semper-Synagoge ist 2001 im Boden des offenen Hofes mit zerbrochenen Glasscherben markiert worden und hält so die Erinnerung an die Zerstörung in der "Reichskristallnacht" 1938 wach. (Später wurde die Markierung mit Kies ausgetauscht.)
Ein orthogonales Raster aus niedrigen Platanen bildet die streng geometrische Landschaftsgestaltung im Innenhof.
Luftaufnahme von der Gesamtanlage

Innenausstattung von den Deutschen Werkstätten Hellerau (DWH)
Die edel zurückhaltende, aber äußerst solid handwerkliche Ausstattung wurde in den traditionsreichen Deutschen Werkstätten Hellerau angefertigt. Im Bild ist ein Ausschnitt aus dem geschlossenen Thoraschrein zu erkennen mit einem modernen Muster, welches den sechseckigen Davidstern flächig in wiederkehrender Folge auflöst.
Die Firma DWH fertigte u.a. auch die Möbel für den neuen Sächsischen Landtag, die Semperoper, für das Kongresszentrum, Stadtarchiv Dresden und Schloss Wackerbarth - siehe: www.dwh.de


Führungen unter:
Jüdische Gemeinde zu Dresden
Synagoge
Hasenberg 1
01067 Dresden
Tel:0351 - 656070

"Die Neue Synagoge ist für mich ..."

Aktion der ZEITGENOSSEN e.V. und der Jüdischen Gemeinde Dresden zum 10 jährigen Bestehen der Neuen Synagoge

"In Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde wollten die ZEITGENOSSEN e.V. herausfinden, welche Bedeutung die Synagoge heute für die Dresdner hat. Aus vielen persönlichen Ansichten und Aussagen entstand ein Meinungsmosaik .."

Download der Broschüre bei den Zeitgenossen:  
BROSCHÜRE SYNAGOGE (2011)

Selbstbewusste Monumente
Anzeichen einer neuen Blüte der Synagogenarchitektur in Deutschland.
NZZ Online vom 21. Mai 2005
zum Vergleich: Neue Synagoge in Chemnitz 2011, Foto
T.Kantschew


Wettbewerb Syngaoge 1997

Wandel, Lorch und Hoefer hatten 1997 den Wettbewerb für die neue Synagoge in Dresden nicht gewonnen. Damals entschied die Jury, zwei erste Preise zu vergeben an
Heinz Tesar (Wien) und Livio Vacchini (Locarno) und auf den zweiten zu verzichten. Erst der dritte Preis ging an die Architekten Wandel, Hoefer, Lorch. Den vierten Preis erhielt Michael Weindel (Waldbronn) und der fünfte Friedrich & Partner (Hamburg). Zvi Hecker und Daniel Libeskind gingen leer aus. Die jüdische Gemeinde hatte sich später für die Realisierung des drittplatzierten Entwurfs entschieden.

"Ziel des Wettbewerbs war es, mit einer konzentrierten Bebauung für die neue Synagoge einen wesentlichen Beitrag zur architektonischen Neuordnung des Dresdners Altstädter Elbufers außerhalb der historischen Befestigungsanlage zu leisten. Zur Unterbringung der Nutzungsbereiche Synagoge und Saal, Gemeindeverwaltung, Gemeinderäume und Wohnen werden streng geometrische bzw. archaische, weitgehend geschlossene Bauformen entwickelt. So zeigt beispielsweise ein erstplazierter Entwurf einen aus zwei Grundelementen - Sockel und Obergeschoß - bestehenden Rechteckbau." (Text aus der Zeitschrift: wettbewerbe aktuell)

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Zur alten Dresdner Semper-Synagoge siehe unter: "Synagogen in Deutschland. Eine virtuelle Rekonstruktion"
www.cad.architektur.tu-darmstadt.de/synagogen/inter/menu.html oder

http://de.wikipedia.org/wiki/Alte_Synagoge_(Dresden)



Vollendung des Gedenk-Grundrisses alte Synagoge

Grundriss neue Synagoge mit Leerstelle der 1938 zerstörten Synagoge. Leider ist 2001 der Grundriss der alten Synagoge nicht - wie hier im Plan vorgesehen - außerhalb des Grundstücks markiert worden. Gerade auf den Gehwegplatten der Straßenbahnhaltestelle wäre dieser Hinweis aber sehr nützlich. Es wäre für das politische Bewusstsein der Stadt wünschenswert, wenn die Stadt Dresden, gemeinsam mit der Dresdner Verkehrsbetriebe AG an dieser Stelle die unvollendet gebliebene Markierung nachträglich konsequent umsetzte.

Auch der Umriss der alten Sempersynagoge im Hof ist schwer zu erkennen. Er sollte deutlicher in Erscheinung treten, um diese Leerstelle besser ins Bewußtsein zu heben.


Foto: 2004 TK Geretteter Davidstern aus der alten Synagoge Thoraschrein (Anfertigung Deutsche Werkstätten Hellerau  (DWH) 2001, Foto: Lukas Roth, Köln


"Die Neue Synagoge ist für mich ... " (Titelbild der Broschüre)


Die virtuell rekonstruierte alte Dresdner Synagoge von Gottfried Semper.
An der TU Darmstadt, Fachgebiet CAD in der Architektur, werden seit 1995 Synagogen, die 1938 von den Nazis zerstört worden sind, am Computer rekonstruiert. Mit der Rekonstruktionen soll der kulturelle Verlust aufgezeigt werden. Gleichzeitig gilt es, die bauhistorische Bedeutung der Bauwerke in Erinnerung zu rufen, die Teil deutscher Städte und Straßenbilder waren, Teil der deutschen Kultur. Das Projekt geht der Frage nach wie mit Hilfe der Informations- und Kommunikationstechnologien neue Formen des kulturellen Gedächtnisses gebildet werden können.


Modell Synagoge Dresden (Zustand bis Oktober 1935 - Westseite, danach dort Anbau von Fritz Brauer bis zur Zerstörung / Abriss im November 1938)
Stadtmuseum Dresden, Foto: 2023 T.Kantschew, Vergrößerung

Der West-Anbau 1935 mit dem neuen „Henriette-Schie-Saal“ war das letzte Gebäudeteil, das während der tagelangen Sprengung im November 1938 zum Abriss kam. Siehe: "Lehrfilm" der Technischen Nothilfe zu den Abbruch- und Sprengarbeiten 1938



Grundriss alte Synagoge von Gottfried Semper 1840 mit einfach quadratischem Grundriss. Der Kunsthistoriker Fritz Löffler wies bei diesem Bau auf eine "kubische Geschlossenheit ... in Weiterentwicklung französischer Revolutionsarchitektur" hin.

 


Gehweg an der Haltestelle Synagoge ohne Markierung, Foto: TK 2012


Grundriss der Neuen Synagoge in Dresden 1997 von Wandel, Lorch und Hirsch. (Markierung Jan. 2012 TK)



Web
www.freundeskreis-synagoge-dresden.de
Zur Architektur der Neuen Synagoge zu Dresden

360°-Panorama
www.arstempano.de

Literatur:


Volkmar Lehnert: Symboldispositiv und Affektwirkung Architektursoziologie der Synagoge in Dresden.
TU Dresden, 2011, Diplomarbeit im Studiengang Diplomsoziologie. (der gesamte Text als pdf)

Text: Thomas Kantschew 2004 / fortlaufend