Lingner Mausoleum im Park vom Lingnerschloß
Zeitlose Schönheit einer modernen Form

 
Architekt:   Hans Poelzig (und Marlene Moeschke-Poelzig)
Plastker:   Georg Kolbe
Bauzeit:   1920
Adresse:.   Bautzner Straße 132
Sanierung:   Atelier LR (Dresden)  Olaf Lauströer
https://atelier-lr.de  2013


Ein würdiges monumentales Grabmal sollte der 1916 verstorbene Industrielle und Odolkönig Karl August Lingner am unteren Ende seines Lingnerschloßparks erhalten. Neben Wilhelm Kreis bestimmte Lingner in seinem Testament Hans Poelzig als möglichen Architekten für ein kleines Mausoleum, der im Mai 1916 gerade als neuer Dresdner Stadtbaurat angetreten war.
Der berühmte Architekt entwarf ein kleines Kunstwerk von zeitloser Schönheit und starkem Ausdruck. Ein einfaches Oval der Grundform strahlt klassische Vollkommenheit aus, verwendet jedoch (fast) nichts von den historisierenden Formen der alten Villa Stockhausen oben am Hang (1850 bis 1853 - Adolf Lohse).
Wohlgestaltete Proportionen teilen das Grabmal in eine niedrige Sockelzone, einem Hauptteil und einer überdachenden Attika. Diese Dachzone ist mit vier profilierten fontäneartigen Auswölbungen ausgestaltet, ein Motiv, dass Poelzig später beim Mosaikbrunnen im Großen Garten (1926) variiert. Dieses expressionistische Element der Stufenringe erinnert auch an ägyptische Kapitelle. Die leicht abgerundete überwölbende Form des Daches assoziiert eine ungestörte Ordnung des unendlichen Kosmos, Ruhe und Harmonie ausstrahlend.
Eine weihevolle Aura mit noblem Ernst umweht diesen geheimnisvoll verschlossenen Bau, der zusätzlich schützend und die Erdmassen wegstützend von einer ruhigen Sandsteinmauer umfriedet ist. Poelzig's Hang zur Mystik kommt auch in diesem kleinen, unscheinbaren Bau zum Ausdruck.
Das Thema "Tod und Ewigkeit" des Grabmals manifestiert sich darüber hinaus in einer steinernen Kompaktheit, welche langwährende Dauer anstrebt, einen Anspruch, der nichts mit so mancher austauschbarer temporärer Architektur heute zu tun hat. Poelzig selbst hatte in seiner Werkbundrede gesagt: "Der Künstler und Handwerker, der nicht Ewigkeitswerte schaffen will, ist keiner."
Das Material - grauer Kalkstein - unterstützt zudem die ruhige Zeitlosigkeit des modernen Mausoleums, an dem sich keine christliche Metaphorik findet.

Plastische Reliefs von Georg Kolbe

Der einganglose Hauptteil des Bauwerks, zu dem eine Treppe hinauf führt, ist mit zwölf glatten Halbsäulen gegliedert, die jeweils mit schmalen Basen und Kapitellen einen Abschluss erhalten. In den dazwischen liegenden Wandungen befinden sich Hochreliefs von Georg Kolbe, einem der führenden Plastiker des 20. Jahrhunderts in Deutschland, der von 1891-98 Malerei und Zeichnung u.a. in Dresden studiert hatte. Dargestellt sind ernste schlanke Mädchenfiguren in langen Gewändern, die keine zeitliche Zuordnung durch Kleidung und Haartracht ermöglichen. Sie sind im Wechsel jeweils als Vorder- und Rückenansicht angeordnet. Durch den hochrechteckigen Rahmen wirken sie einerseits archaisch und dennoch modern in ihren natürlichen Gesten.
Die mit dem Bau zu einer Einheit verschmelzenden Kunstwerke sind von individueller (nicht industrialisierter) handwerklicher Meisterschaft, wahrhaftig und in keiner Weise geschmäcklerisch. Eine vornehme Zurückhaltung im Schmückenden (nicht zu verwechseln mit einem Komplettverzicht allen schmückenden Beiwerks) äußert sich im maßvollen sanft plastischen Hervortreten der Figuren, die nicht den Anspruch erheben, etwas Autonomes, Unabhängiges einer Kunst AM Bau zu sein, sondern dienender Teil dessen.

Dieses beglückende Zusammenspiel von künstlerisch gesinntem Baumeister und architektonisch einfühlsamen Künstler verbindet sich zu einer seltenen, wohltuenden Synthese.

Ursprünglich war das Mausoleum größer geplant. Die Mädchenreliefs sollten im Inneren mit einer freistehenden Figur platziert werden:


Tuschezeichnung (heute verschollen) von Georg Kolbe für das Lingner-Mausoleum mit Assunta-Figur 1920

Biographie des sächsischen (geb. in Waldheim 1877) Bildhauers Kolbe (www.georg-kolbe-museum.de)

Geometrie und Harmonie

Nach der entsetzlichen Barbarei des I. Weltkrieges verbreitet dieses kleine auratische Bauwerk einen stillen Optimismus, der ohne das bemühte Zitieren von Scherbenmetamophorik und Gewaltsymbolik auskommt. Eine Hoffnung nach der Urkatastrophe. Ebenso hält sich der Bau von der damals hoch aktuellen expressionistischen Zackenmode fern, die das hektisch Nervöse des Zeitalters zum Ausdruck bringen wollte.

Das Grabmal ist keine Kopie klassischer Formen (Poelzig lehnte den plumpen Historismus ebenso ab). Es ist etwas eigenes und doch variiert der Architekturkünstler eine uralte geometrische Grundform- die des Ovals, welche eine Modifizierung des Kreises ist. Der Bau wirkt zugleich klassisch und neuartig. Die Tradition wird bei Poelzig kreativ und schöpferisch weitegeführt, so daß der kleine Rundtempel die Antike auf ganz eigenwillige Weise zitiert. Das Neue zeigt sich dagegen in der Reduzierung des schmückenden Beiwerks auf ein nötiges Maß, ohne darauf ganz zu verzichten, was dem Bau sofort etwas Grobschlächtiges gegeben hätte. Die fein profilierten Figuren, auf die ganze Höhe des schlanken Felder emporgestreckt, geben ein notwendiges Gegengewicht zu dem massiven Gesamtbau.

Hans Poelzig war von 1916 bis 1920 Stadtbaurat in Dresden, bis er nach Berlin wechselte. Leider konnte außer dem Lingner Mausoleum und dem Mosaikbrunnen im Großen Garten (sowie ein Majolika-Brunnen ⟨eine Zweitfassung existiert in Hannover⟩ und ein temporärer Porzellanpavillon 1922) keiner seiner großen Entwürfe verwirklicht werden. Aber seine Pläne für ein Stadthaus, eine Feuerwache, ein ausgedehnter neuer Museumskomplex und ein Konzertsaal entfachten in Fachkreisen eine erheblich breitere Wirkung.
Poelzigs Dresdner Modelle und Skizzen zeigen eine frische Auseinandersetzung mit der geschwungenen Bewegtheit der sächsischen Barockstadt, die später in dem unerhört emotional anschwellenden Entwurf für ein Festspielhaus in Salzburg gipfelten (1920/21 in Dresden).

Werkverzeichnis von Hans Poelzig (www.archinform.de)

Sein Credo, welches er bereits 1906 in dem Aufsatz "Gärung der Architektur" unter Einwirkung der Dresdner Kunstgewerbeausstellung im selben Jahr formuliert hatte, lautete:

"Die Flucht vor allem, was historisch gegeben, kann ebensowenig Rettung bringen, wie das nur dekorative Zurückgehen auf Formen der Vergangenheit."


(zum Vergleich: Mosaikbrunnen im Großen Garten - anlässlich der 5. Jahresschau deutscher Arbeit 1926 zum Thema Gartenbau - von Hans und Marlene Poelzig.
Auch hier wird das Thema organische Formen behandelt: kelchartige gestaffelte Schalen. Man findet dieses Motiv bereits im Schauspielhaus Berlin von 1919.)

Als anerkanntes Mitglied des Werkbundes hielt er der nächsten radikaleren Architektengeneration um Bruno Taut und Mies van der Rohe ihre Ungeschichtlichkeit vor. Er konnte deren Auffassung eines absolut gesetzten Neubeginns nicht teilen.
Zudem mochte er sich auch der allgemeinen Technik- begeisterung nicht anschließen. "Sie war ihm zutiefst unheimlich, sie konnte für ihn niemals etwas mit Kunst zu tun haben" (Julius Posener). Deswegen war er kein Freund, die Konstruktion des Baus über zu betonen. Die Konstruktion sollte dienende Funktion haben und ebenfalls künstlerisch entwickelt werden.

Hintergründe zu Leben und Werk Lingners (Schloss, Geschichte) www.lingnerschloss.de

Literatur:

Olaf Lauströer und Tanja Scheffler (Hrsg), Linger-Mausoleum. Zur Baugeschichte und denkmalgerechten Sanierung, Verlag: W.E.B. Universitätsverlag, Dresden 2016

Hambrock, Heike: Bauen im Geiste des Barock. Hans und Marlene Poelzig. Architekturphantasien, Theaterporjekte und moderner Festbau (1916-1926), Aschenbeck & Holstein 2006

Stenkamp, Esther: Das Lingner-Mausoleum, in:
Berger, Ursel/Pavel, Thomas (Hrsg.): Architektur und Plastik. Mies van der Rohe und Kolbe. Barcelona-Pavillon, Berlin 2005

Scheffler, Tanja: Hans Poelzig - Unbekannte Entwürfe für Dresden, in: architectura - Zeitschrift für Geschichte der Baukunst / Journal of the History of Archtecture 1/ 207

 

 

Poelzig in Dresden 1916 - 1920

Lingner Mausoleum von Hans Poelzig und Georg Kolbe in Dresden Loschwitz
Alle Aufnahme: Feb. 04-
Vergrößerung Georg Kolbe in Dresden, berühmter Plastiker der Moderne: Mausoleum für August Lingner im Park vom Lingner Schloß.
Vergrößerung
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Vergrößerung Kleiner Tempel mit eliptischem Grundriss
Hans Poelzig, Entwurfszeichnungen für das Lingner-Mausoleum, 1919/ 20

 




Als Ergänzung: Mosaikbrunnen im Großen Garten - 1926 von Hans und Malene Poelzig (Aufn. 07/04) - Alle Fotografien © 2003- 04 Thomas Kantschew


Mittelsäule im Schauspielhaus Berlin (1919)

 

 

 

 

 

 

 


Entwurf für ein Bankgebäude in Dresden (nähe Rathaus)


Pfeilergrundriss für eine Bank (siehe oben) in Dresden

Fotos von den Dresdner Entwürfen
- Feuerwache (1916- 17) auf dem Standort des Fischhof-
  platzes in der Wilsdruffer Vorstadt.
- Bankgebäude (1918/ 20)
- Gasbehälter (1917)
- Gaswerk Reick (als einziges Gebäude realisiert) (1917)
- Hotel und Geschäftshaus (Bismarkplatz) - ohne Jahr
- Stadthaus
- zwei Holzhäuser für die Deutsche Werkstätten Hellerau
- Elbbrücke (März 1918)

findet man auf der Webseite des Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin


Entwurf für eine neue Brücke - 1918


Entwurf für ein Hotel hinter dem Hauptbahnhof am heutigen Friedrich- Listplatz


Kandelaber von Hans und Marlene Moeschke-Poelzig: in der Ausstellung von Porzellanen Volkstedter Modelleure im Porzellan-Pavillon Dresden, 1921 (Fotoquelle: siehe nebenstehender Link)

Die zweite Ehefrau Poelizgs, eine berühmte Bildhauerin, war bis zum Tode Poelzigs eine inspirierende Quelle für den Architekten und führte selbst  Innenarchitekturen aus. Für mehrere Häuser war sie auch als Architektin zuständig, so für das gemeinsame Wohnhaus in Berlin Westend von 1930.