Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage
Gemeindehaus der Mormonen im Stil klassischer Villenbebauung

 

Architekt:--- Dieter Hantzsche
 _________.VEB Gesellschaftsbau Dresden (Planungsbüro)
Bauzeit: ___1988
Adresse:
.__ Tiergartenstraße 42


Vom Nicht-Sozialistischen Ausland (NSW) finanzierter Auftragsbau

Dieser Bau verwundert ob der bemerkenswerten Offenheit und religiösen Toleranz in der Spätphase der DDR. Doch die damaligen sowjetischen Ideen von Glasnost (Transparenz) und Perestroika (Umgestaltung) ließen auch in der DDR mehr Spielraum zu. So lässt sich das im öffentlichen Stadtraum sichtbare Glaubensbekenntnis einer weltweit agierenden Gemeinde erklären.

Das im Stil klassischer Villenbebauung ausgeführte Gemeindehaus der Mormonen ordnet sich unauffällig in die offene Bebauungsweise der im 20. Jahrhundert errichteten Villen am südwestlichen Teil des Großen Gartens ein. Trotzdem behauptet das Gebäude ein ganz eigenes Selbstbewusstsein in einem wohl ausgewogenem Gleichgewicht zwischen modernem schmucklosen Aufbau und maßvoll nachmodernen Erinnerungen klassischer Gestaltungselemente, wie geneigtes Satteldach, Sprossenfenster, Erker, Andeutungen von Pilastern etc.

Zwischen Postmoderne und Klassischer Moderne

Ein auf die sakrale Funktion hindeutender, kreuzförmiger Obelisk (?), denn ein Glockenturm ist es nicht, steht in Front des Gebäudes. Das Gemeindehaus selbst hat einen interessant ineinander verschachtelten Grundriss und eine unkonventionelle Verteilung von ganz unterschiedlichen Fensteröffnungen. Der Einfluss der internationalen Postmoderne wird deutlich spürbar. Trotzdem behält das Haus seine Würde und denunziert sich nicht selbst durch Ironie und Zitatenquark.
Nach Aussagen des Architekten musste man sich im Entwurfsprozeß gegen die antikisierenden, klassizistisch-epigonalen Architektur-Vorstellungen des amerikanischen Hausarchitekten der Mormonen behaupten.

Vorbildlich auch die Zaungestaltung, welche die steinernen Pfosten des Vorgängerbaus als historisches Erbe respektiert und ergänzt.


Regionaler Bezug: Schieferdach aus Erzgebirgischem Schiefergestein


Aus dem allgegenwärtigen, industriell gefertigten Plattenbaueinerlei fiel dieses individuelle Haus mit eigener Handschrift durchaus auf. Ein klassischer Putzbau in einem zurückhaltenden Hellockerton - ursprünglich gebrochenes Weiß. (Die Mormonen kleiden sich als Zeichen innerer Läuterung gern in Reinweiß.)
Dazu das zurückhaltende Grau des erzgebirgischen Schieferdachs, für die späte DDR-Architektur auch ein höchst selten verwendeter Baustoff.

Alles in allem ein durchaus beachtenswerter Wendebau!


"Die DDR konnte sich nie von den Vorgaben aus Moskau lösen"?

Mit Glasnost und Perestroika unter der Ära des sowjetischen Staatschefs Gorbatschow änderte sich auch das ästhetische Diktat vom "Großen Bruder". In allen kulturellen Bereichen, in Theater, bildender Kunst und Architektur war eine zaghafte Öffnung der verkrusteten Strukturen zu beobachten. Diese erfreuliche Reformbereitschaft von oben sickerte trotz Honeckers Halsstarrigkeit in alle Ebenen des DDR-Kulturlebens. Gerade im Bauwesen lassen sich für die späten 80er Jahre erstaunliche eigenständige, von der UdSSR gänzlich unabhängige Lösungen ausmachen, so u.a. das Gästehaus von Schloß Ekberg, die Lückenbebauungen in der Inneren Neustadt oder die sogenannte "reformierte Platte" an diversen Standorten (Ferdinandstraße, Pfotenhauer Straße etc.)


Vergrößerung, Foto: T.Kantschew 2004
Fotos: Thomas Kantschew 2004

Das Architektur-Kollektiv

Das ausführende Planungsbüro des VEB Gesellschaftsbau Dresden, beauftragt von der Ostberliner Bauakademie, hatte zur DDR-Zeiten alle Mormonengemeindehäuser in Ostdeutschland (u.a. Erfurt, Plauen, Chemnitz) und den einzigen Tempel in Freiberg ausgeführt. (siehe Foto rechts)

Von diesem Büro stammt auch das Bischöfliche Ordinariat am Käthe-Kollwitz-Ufer von 1977-78 (als erfrischender Moderne-Bau im Kontrast zur historistischen Bebauung von Blasewitz - Foto: TK 2021) und das katholische Dompfarramt in der Schweriner Straße, einer wohltuenden Lückenbebauung Mitte der 1980er Jahre (abgerissen 2021).
Das Bischöfliche Ordinariat wird 2024 in ein an Stelle des abgerissenen Dompfarramtes in Mitte errichteten Neubau einziehen.


Webtipps:

zu den Mormonen Tempeln
www.lds.org/church/temples

www.wikipedia.de (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Dresden)

Siehe auch:
Tendenzen der 80er Jahre. Architektur und Städtebau in Deutschland. Von: Carina Kitzenmaier, Matthias Noell.
Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees
für Denkmalschutz — Band 101, Berlion 2022



Text: Thomas Kantschew 2004